Welche Vielfalt!
Von Himmelsleitern, Raumskulpturen und handgeschnitzten Geländern

Treppen sind fast so alt wie die Menschheit. Der Steigebaum – ein schräggestellter Baumstamm mit Kerben – war in der Steinzeit wohl das erste Hilfsmittel, einen Höhenunterschied zu überwinden. Sehr lange lebte der Mensch ausschließlich in Behausungen auf einer Ebene. In frühen Hochkulturen in Vorderasien oder Lateinamerika waren Treppen kultischen Einrichtungen vorbehalten. Auch die Tempel der Antike nutzten die Symbolkraft von Stufen als Übergang zum Transzendenten. Das spiegelt auch die biblische Erzählung in der Genesis von der Himmelsleiter, einem Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel, den Jakob in einer Traumvision erblickte. Erst im Mittelalter baute man zunehmend mehrgeschossig, Treppen wurden zum funktionalen Bauelement. Im Barock dienten äußerst prunkvoll ausgestattete Treppen und Treppenhäuser in Schlössern Repräsentationszwecken. Dieses Motiv wurde in der Neuzeit auch auf öffentliche Gebäude wie Theater oder Rathäuser übertragen. Die Moderne nutzte alle technischen und gestalterischen Möglichkeiten, um neue Konstruktionen und Formen für Treppen – nicht nur in Gebäuden – zu finden. Treppen im öffentlichen Raum gewinnen als Aufenthaltsorte oder begehbare Kunstobjekte immer mehr an Bedeutung. Nachdem Fahrstühle in öffentlichen Gebäuden oder Bürobauten Treppen in Nottreppenhäuser verdrängt hatten, gibt es wieder großartige Beispiele für den Mehrwert ihrer Nutzung. Mit ihrer symbolischen Dimension sind Treppen längst Gegenstand von Film, Kunst und Literatur.
Hier zeigen wir ausgewählte Beispiele von Innentreppen im Wohnbereich. Die Kragarmtreppe von Schmidmayer besteht aus massiven, sich zur Raumseite verjüngenden Eichenstufen, die in der Sichtbetonwand mittels eigens entwickelter Taschen mit Aufstecksystem unsichtbar verankert sind. Zeitform Design verknüpft Industriedesign und Handwerkskunst. Die vielfach ausgezeichnete Faltwerktreppe aus Holz ist die einzige, die ohne stützende Wand auskommt. Das gleiche statische Prinzip nutzt auch die Hängetreppe. Durch nur 4 mm dünne Zugstangen kann die Führungswange auf ein Minimum reduziert und durch eine extrem stabile Wangen-Stufenverbindung eine nahezu starre Seitenstabilität erreicht werden. Die platzsparende Stahlspindeltreppe von Spreng ist auf das Minimum reduziert. Seitenwange und Geländer verschmelzen und verdecken seitlich die Stufen aus gekantetem Blech. Durchgehend in einer Farbe lackiert wirkt sie wie eine Skulptur. Die asymmetrisch gebogene Wangentreppe mit handgeschnitztem Geländer aus Eiche von Markiewicz zeigt detailverliebte Handwerkskunst von überragender Qualität. Herstellung und Einbau dauerten zwei Jahre. Schmale weiße Wangen, Stufen und Handlauf aus dunkler Räuchereiche sowie ein unsichtbar befestigtes Glasgeländer stimmen die Bogentreppe von Stock|Werk perfekt auf den Raum ab. Die markante Einholmtreppe von MetallArt lebt von der sichtbaren, präzise ausgeführten Tragkonstruktion aus dunklem Stahl und dem Kontrast zu Stufen und Handlauf aus hellem Bambus. Mit dem raffinierten Spiel mit vertikalen schlanken Holzstäben und exakt eingepassten LED-Leuchtstäben in der Außenschale zeigt Schmidmayer, dass auch eine ganz klassische Treppe aufregend neu gestaltet werden kann. Eine minimalistische Variante der klassischen Wangentreppe zeigt Frammelsberger: Geölte Stufen in Wildeiche ohne Setzstufen und eine geländerhohe Wange raumseitig, mehr braucht es nicht. Die Stahlbetontreppe mit Holzbelag von Markiewicz greift Stilelemente des Art déco auf und präsentiert zeittypisch luxuriöse Materialien: Eiche geräuchert für die Stufen und hochglanzpolierter Edelstahl für das Geländer. Die schwarze Stahlwangentreppe von MetallArt verbindet fünf Etagen des Berliner Max-Delbrück-Centrum miteinander und ist ein Beispiel für ästhetisch und technisch anspruchsvolle Innentreppen im Objektbau.
(Erschienen im CUBE Magazin 03|20)