Nachhaltig ist das neue Normal
Warum die Zertifizierung von Gebäuden mehr ist als eine PR-Maßnahme
CUBE: Seit 2009 vergibt die DGNB Zertifikate für nachhaltige Gebäude. Rund 5.000 Projekte haben Sie bereits ausgezeichnet. Wie zufrieden sind Sie mit dem Erreichten?
Dr. Christine Lemaitre: Wenn man betrachtet, welche Aufmerksamkeit das nachhaltige Bauen mittlerweile in der Bau- und Immobilienwirtschaft erhält, und dies mit 2009 vergleicht, so haben wir wichtige Schritte gemacht (siehe Beispiele auf den Seiten 6, 10, 12, 26, 38, 49, 60, 65, 66, 70, 76 und 78). Aber natürlich reicht das bei weitem nicht aus. Unserer Meinung nach sollte Nachhaltig das neue Normal sein und da sind wir noch nicht, auch wenn es eine Reihe von Marktteilnehmern gibt, die hier vorbildlich vorangehen. Zu oft wird der nicht-nachhaltige Weg aber gesellschaftlich akzeptiert, was mit Blick auf globale Herausforderungen wie die Klimakrise oder die Ressourcenknappheit nur schwer nachvollziehbar ist.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das hat viele Gründe. Die Immobilienwirtschaft besitzt eine außergewöhnliche Kreativität bei der Suche nach Gründen, warum der nachhaltige Weg nicht geht. Dabei fehlt vielen dieser Argumente die inhaltliche Grundlage. Etwa, dass das nachhaltige Bauen zu teuer und weit weg von der heute üblichen Baupraxis ist. Wer sich schon um die Energieeffizienz kümmert, müsse doch nicht mehr machen. Und die gesetzlichen Anforderungen einzuhalten, reiche doch auch aus. Wenn alle eine solche Haltung einnehmen würden, kämen wir z. B. bei den Anforderungen, die sich aus dem Paris-Abkommen für die Branche ergeben, nicht weiter. Zudem wird unterschätzt, dass es heute eher schon fünf nach statt fünf vor zwölf ist. Politischer Druck und auf Klimaschutz ausgelegte Förder- und Finanzierungsstrategien sehen jeweils anders aus als der Status Quo.
Warum sollte ein Bauherr denn überhaupt zertifizieren?
Marketing- und Imagevorteile sind für viele sicher ein Grund. Aus unserer Sicht gibt es aber zahlreiche andere gute Gründe, die für eine Zertifizierung sprechen. Im besten Fall wird das Zertifizierungssystem bereits in einer frühen Projektphase als Planungs- und Optimierungstool eingesetzt und schafft damit eine Transparenz über Ziele und Entscheidungen, die es sonst in einem Bauprojekt nicht gibt. Damit trägt es entscheidend zur Qualitätssicherung bei. Ökonomische Argumente sind eine gesteigerte Nachfrage seitens Investoren, Mietern und Kunden, aber auch ein reduziertes Risiko bezüglich der zukünftigen Anforderungen an Gebäude, sei es beim Thema Energieverbräuche oder beim Thema der Schadstofffreiheit. Aber auch der Mensch als Gebäudenutzer steht bei dem ganzheitlichen DGNB Nachhaltigkeitsverständnis im Fokus. Zertifizierte Gebäude tragen zu einer gesteigerten Produktivität, mehr Wohlbefinden und einer gesünderen Umgebung bei.
Wo liegen Ihre nächsten Schwerpunkte?
Auf der Expo Real 2019 vergeben wir erstmals „Klimapositiv“-Auszeichnungen ergänzend zu unserem Zertifizierungssystem für Gebäude im Betrieb. Damit wollen wir solche Projekte herausheben, die zeigen, dass der Weg hin zur Klimaneutralität bzw. zu einer positiven CO₂-Bilanz auch heute schon möglich ist und auch umgesetzt wird.
Frau Dr. Lemaitre, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. Christine Lemaitre
Mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e. V.) setzt sich Christine Lemaitre seit über zehn Jahren für eine bessere Planungs- und Baukultur ein – zunächst als Leiterin der Abteilung System und seit 2010 als geschäftsführender Vorstand. Zuvor war die promovierte Bauingenieurin u. a. am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart und bei der Bilfinger Berger AG beschäftigt. Sie ist Mitglied im Board of Directors des World Green Building Council und Mitinitiatorin der internationalen Planerinitiative Building Sense Now. Des Weiteren engagiert sie sich als Mitglied im Beirat der Initiative „Baukultur Baden-Württemberg“ und im Nachhaltigkeitsrat des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA). 2019 wurde Lemaitre mit dem Eco Innovator Award des Global Green Economic Forum ausgezeichnet.
(Erschienen in CUBE Real Estate 02|19)