Ein weites Feld
Welche Rolle spiel das Thema Nachhaltigkeit beim Sanieren von Bestandsbauten?
Herr Deuschle, Ihr Büro bearbeitet eine große Bandbreite von Projekten. Könnte man das Bauen im Bestand als einen Schwerpunkt bezeichnen?
Ja, das Bauen im Bestand ist ein Schwerpunkt in meinem Architekturbüro.
Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass es kaum mehr Neubaugebiete in der Region Stuttgart gibt. Oft sind auch nur Baulückenbebauungen möglich, in die ein neues Gebäude „implantiert“ werden muss. Im Moment plane ich aktuell ein Drei-Familienhaus in Berg, das in diesem Fall an ein Bestandsgebäude angebaut wird.
Wie sieht ein Maßnahmenkatalog für ein solches Gebäude aus?
Idealerweise kommt der potentielle Bauherr vor dem Kauf der Immobilie auf mich zu. Im Anschluß daran findet dann eine Baubegehung statt, in der über die Umbauwünsche bzw. das zur Verfügung stehende Baubudget gesprochen wird. Spätestens zum Bauantrag findet dann eine energetische Erfassung des Gebäudes statt. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Energieberater hinzu gezogen, der sich mit dem Thema kommunale Fördermittel/KfW-Darlehen aktuell auskennt.
Wie lauten die gesetzlichen Rahmenbedingungen? Wann erhält ein Gebäude einen „Energiepass“?
Sobald ein Gebäude vermietet wird, ist ein Energiepass gesetzlich notwendig. Der Termin der Einreichung des Bauantrags entscheidet darüber, welche EnEV anzuwenden ist. Zurzeit gilt die EnEV 2016. Dies bedeutet die ursprüngliche EnEV 2014 mit neuem Regelwerk für 2016.
Wo liegen die Schwierigkeiten in der energetischen Ertüchtigung von historischen Altbauten?
Bei denkmalgeschützten Gebäuden gelten andere Regeln. Zuerst muss festgestellt werden, welches Bauteil dem Denkmalschutz unterliegt. Bei einer denkmalgeschützten Fassade kann z. B. kein Wärmedämmverbundsystem angebracht werden. In Absprache mit Energieberater oder Bauphysiker kann es notwendig sein, eine Dämmung von innen z. B. Silikat anzubringen. Die Dämmung von innen kann dann diverse Probleme z. B. mit der historischen Stuckdecke nach sich ziehen. Ein weiterer schwieriger Punkt beim Altbau sind die Fenster. Abhängig von den Denkmalauflagen können hier Rahmen und Sprossenmaße bis auf den Millimeter verbindlich vorgeschrieben werden.
Wann ist ein Gebäude nicht mehr haltbar?
Ein Gebäude ist dann nicht mehr haltbar wenn z. B. die Statik der Decken und Wände die vom Bauherren gewünschten Bauänderungen nicht mehr zulassen. In der Realität wird aber möglichst versucht, das Gebäude zu erhalten. Dies ist auch darin begründet, dass ein Gebäude nach Abbruch den Bestandsschutz verliert und oftmals nicht mehr in der alten Größe wieder aufgebaut werden kann.
Kann man bei der Sanierung von Altbauten auch das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigen? Ist dabei Energiegewinnung auch ein Thema?
Das Thema Nachhaltigkeit spielt auch bei Altbauten eine immer größere Rolle. So wird bespielsweise versucht, bei der Auswahl der Dämmstoffe auf nachhaltige Materialien wie Hanf oder Schafwolle auszuweichen oder bei dem Einbau einer neuen Heizung den Pelletheizungen den Vorzug zu geben. Solare- oder Photovoltaikenergiegewinnung wird immer mehr eingesetzt.
Können Sie uns dazu einen komplexen Fall aus Ihrem Büro nennen?
Ich bearbeite in meinem Architekturbüro im Moment einen Umbau eines Einfamilienhauses aus den 20er Jahren von Richard Döcker. Das Gebäude wurde im Krieg von einer Bombe teilweise zerstört und mit einem Stockwerk weniger wieder aufgebaut. Wir versuchen jetzt das Gebäude nach den neuesten Vorschriften und innerhalb der EnEV in der ursprünglichen Gestaltung wieder herzustellen.
Wie ist die aktuelle Lage in diesem Thema in Stuttgart?
Die kommunale Förderung über den Stuttgarter Standard ist sehr gut. Die Stadt gibt einen Zuschuss auf die Bauteile Fassade, Dach, Fenster und Heizung. Die entsprechenden Formulare werden über den Energieberater frei gegeben und eingereicht. Die Stadt Stuttgart bietet ein Energieberatungszentrum, das auf fast alle Fragen eine schnelle Antwort hat.
www.ebz-stuttgart.de
Herr Deuschle, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Birgit Schmolke.
Axel Deuschle
Dipl.-Ing. und Freier Architekt
Geb.: 12.08.1960
1986 Jam Joom Commercial Center, Jeddah, Saudi-Arabien. 1987 Regieassistenz für Norbert Beilharz bei zwei Ballettproduktionen über die Tänzer Marcia Hayde und Hans van Manen, gedreht in Brasilien, Holland und Frankreich. 1987 bis 1988 Büroerfahrung bei Kammerer und Belz sowie bei Kucher und Partner. 1989 Diplom an der TU-Stuttgart bei Prof. Johannes Uhl/Berlin. Von 1990 bis 1994 arbeitete er als Architekt bei James Stirling/Michael Wilford London, Stuttgart. Seit 1995 Architekturbüro Deuschle. 2014 Gründung der Projektkooperation mit Bureauhub/Milano.