Gelungener Kontrapunkt
Die Steinhalle in Alzey ist Museumsanbau und würdiger Ort für römische Schätze
Mehr als 90 Jahre lang waren die römischen Altäre, Statuen und meterhohen Säulen der Stadt Alzey in einem Provisorium abgestellt und fast vergessen. Nun haben sie eine barrierefreie Ausstellungsfläche erhalten. Und was für eine! Der sie nun beherbergende längliche Neubau, der sich über einem unregelmäßigen Grundriss erhebt, ist nicht nur Präsentationsort, sondern selbst eine Skulptur.
Die neue Steinhalle von Eichler Architekten fügt sich als Anbau an das denkmalgeschützte, um 1580 als Hospital errichtete Museumsgebäude und ist mit diesem über einen Durchgang aus Glas verbunden. Mit seiner Optik orientiert sich der Neubau zwar am Hospitalbau, fügt sich städtebaulich ein und erweist der Umgebung Respekt, setzt sich aber zugleich formal von der umliegenden Bebauung ab. Seine freie Form entstand aus dem Grundriss, da Bauherren und Architekten eine „promenade architecturale“ in die religiöse Welt der Spätantike anstrebten.
Die Konstruktion besteht aus zwei gekippten, jeweils einmal geknickten Wänden aus massivem Brettschichtholz. Die hinterlüftete Hülle, die aus quadratischen Keramikhohlelementen besteht, betont die plastische Form des Gebäudes. Fenster gewähren wohl kalkulierte Einblicke und wecken Neugier auf die Schätze im Inneren. In der Steinhalle führt der Weg entlang kultischer Steindenkmäler für römische und anverwandte, ursprünglich keltische und vorderasiatische Gottheiten bis zum Highlight: dem vom Tageslicht beleuchteten „Forum“, das mit Teilen von einst bis zu 12 Metern hohen Säulen des Jupiter geschmückt ist. Die Atmosphäre in der Steinhalle ist den Exponaten entsprechend nahezu sakral. Die schwarz gestrichenen Wände und die konische Form des Raums lassen an ein Gewölbe oder auch an ein Kirchenschiff denken. Der Bodenbelag, der sich vom Stäbchenparkett im Museum absetzt, betont die Atmosphäre. Der gegossene Beton ist dabei auch eine Anspielung auf das „Opus caementitium“ der Römer, wobei er durch Zuschlagsstoffe aus Rheinkies seine grau-braune, warme Farbe erhalten hat. Durch ihre besondere Form präsentiert die Steinhalle die kultischen Steindenkmäler nicht nur besonders effektvoll, mit dem Neubau erhält die Stadt einen neuen Platz, der die darunter liegende Tiefgarage vergessen lässt. Nachts schenken die großen Fenster übrigens Einblicke in eine geheimnisvolle Welt, erhellt vom stets kalkulierten Schein der einzelnen Strahler.
Fotos:
Michael Heinrich
www.mhfa.de
(Erschienen in CUBE Frankfurt 03|24)