Italienisches Flair in München
Der italienische Architekt Antonio Citterio spricht über neue und alte Büroarchitektur in München
CUBE: Herr Citterio, wieso interessieren Sie sich seit jeher für Architektur und Design?
Antonio Citterio: Ein wichtiger Faktor war, dass ich direkt in einem Gebiet der Möbelindustrie geboren wurde, nahe Mailand im Herzen der Brianza. Nach dem Studium, wo ich täglich bis zu meinem Abschluss am Tag vier bis fünf Stunden Möbel designte, arbeitete ich in der Werkstatt meines Vaters. Er war ein handwerklicher Unternehmer und sprach mit mir viel über italienische Architekten wie Terragni, Asnago und Vender. Dass ich danach noch ein Studium der Architektur am Mailänder Polytechnikum dranhängte, war eine logische Konsequenz für mich, vor allem in einem Land wie Italien, wo die Grenzen zwischen Architektur, Innenarchitektur und Industriedesign seit jeher nicht so streng sind.
Wie beeinflusst die Architektur Ihre Arbeit im Bereich Design und umgekehrt?
Die Art und Weise, in der sich meine Karriere entwickelt hat, basiert auf einer Mischung zwischen dem konzeptionellen Ansatz des Architekten und der Kreativität des Industriedesigners. Wenn ich ein neues Projekt beginne, eine neue Möbelkollektion zum Beispiel, analysiere ich immer die Umgebung zusammen mit den Bedürfnissen der Menschen und ihrem Lifestyle. Meine Forschung konzentriert sich oft auf technologische Prozesse, aber in anderen Fällen arbeite ich an Typologien oder Emotionen. Technologie und Sensibilität sind zwei Aspekte meines Design-Ansatzes, wenn ich sie zusammenfüge, sind meine Kenntnis der technischen Prozesse auch immer wichtig. Italienische Architekten, die auch Möbel und Interieur Design machen, wissen genau, wie man ein Produkt, ein Volumen im Raum positionieren sollte.
Das „Nove“, ein Ensemble mit 27.500 m2 Bürofläche, die sich über sieben beziehungsweise neun Stockwerke verteilen, ist nun kurz vor der Fertigstellung. Was macht dieses Gebäude so speziell?
Wir haben dieses Projekt in einem internationalen Wettbewerb gewonnen, weil wir mit einer ganz besonderen Fassade überzeugen konnten. Bürogebäude haben heute selten wirklich Charakter, sie sind meist glatt und funktional. Die Bauherren wollten ein einmaliges Gebäude mit Wiedererkennungswert. Der repräsentative Charakter des Gebäudes wird durch die großzügige Anordnung rund um das Herz des Hauses, das verglaste Atrium geschaffen, sowie durch den öffentlichen Charakter der vier angeschlossenen Haupteingänge, die hochwertigen Materialien und durch die lichte Höhe der Büroetagen.
Was inspirierte Sie zum speziellen Fassadendesign mit den markanten „Frames“ um die Fenster?
Das Fenster ist ein archetypisches Architekturelement. Es steht für die Kommunikation zwischen dem Gebäude, seinen Bewohnern, und dem Umfeld, der Stadt. Bürohäuser mit ihrer glatten und anonymen Fassade haben das verloren. Das Fenster gibt dem Bewohner eine Identifikation, das zu zitieren ist mein suggestiver Ansatz. Die Fassade ist voll verglast und bietet eine state-of-the-art Technologie mit außenliegendem Sonnenschutz mit verstellbaren Aluminiumlamellen. Das Fassadenraster ist 1,35 m (für interne Trennwände) mit einem zu öffnenden Fenster in jedem zweiten Modul, um ein Höchstmaß an Flexibilität und Komfort zu garantieren.
Ist die Achitektur und das Fassadendesign denn typisch italienisch?
Architektur und Interiordesign sind in der italienischen Tradition nicht getrennt. Wir entwickeln das Gebäude als Ganzes, innen und außen, und darin ist das „Nove“ sicher sehr italienisch. Trotz eines spielerischen Ansatzes für die Fassade ist es nicht modisch. Die Wertigkeit von natürlichen Materialien, Holz, Stein, Metall, geben dem Gebäude zeitlose Eleganz.
Der Slogan des Gebäudes lautet „office & atmosphere“ – wie ist das zu verstehen?
Das „Nove“ ist ein elegantes Bürogebäude, die markanten Rahmen um die Fenster aus Goldbronze-System bieten eine anmutige Hülle für das helle und heitere Interieur. Innenhöfe, Atrien, Gärten, Terrassen und die Büroräume fließen in einer einzigartigen, flexiblen und angenehmen Umgebung sanft ineinander. Normalerweise bestehen Architekten für Bürogebäude selten auf die Details, was oft bedeutet, dass es ziemlich langweilig wird. Für uns ist lnteriordesign eine Kernkompetenz, sodass wir wie in diesem Fall, auch die Innenräume des Gebäudes entworfen und eine einzigartige Atmosphäre geschaffen haben.
Gibt es beim „Nove“ Features, die ein modernes Bürogebäude heutzutage unbedingt besitzen sollte?
Ziel war es, ein qualitativ hochwertiges, modernes Bürogebäude mit einem Alleinstellungsmerkmal für den Münchner Immobilienmarkt zu bauen und gleichzeitig eine wirtschaftlich tragfähige, platzsparende, nachhaltige Lösung mit flexiblem Einsatz zu entwickeln. Flexibilität ist sehr wichtig; nicht eine spezifische Unternehmensarchitektur zu erarbeiten, sondern jede Art von anderer Nutzung in Zukunft zu ermöglichen. Der zweite Hauptaspekt unserer Arbeit in diesem Bereich ist die Nachhaltigkeit in Bezug auf Konzept, Materialien und technische Vorrichtungen.
Was meinen Sie, mögen Münchner die italienische Architektur?
München hat eine große Nähe zu Italien und einige Ähnlichkeit mit Norditalienischen Städten. Es gibt da eine Verwandtschaft und historisch hat sich München gerade in der Architektur immer wieder an Italien orientiert, bis hin zu prägenden Architekten wie Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner.
Gibt es Ihrer Ansicht nach auch weniger gelungene Bürogebäude in München?
Wenn ich das Umfeld im Arnulfpark betrachte, empfinde ich das als relativ kühl. Im Vergleich zu historischen Ensembles wie dem Central Park in New York muss sich hier noch etwas mehr bewegen. Städte brauchen immer markante Gebäude. Mit der Framefassade des „Nove“ bringen wir ein Stück unverwechselbare Architektur nach München.
Was ist Ihre Meinung dazu, dass in München Hochhäuser nicht höher als 100 m sein dürfen?
Die Idee des Hochhauses, gerade auch des Wohn-Hochhauses, war eine Zeitlang unpopulär, aber sie gewinnt wieder viel Zuspruch. Wir arbeiten heute viel in Hongkong, in Singapur, in China und Taiwan. Im taiwanischen Taichung zum Beispiel realisieren wir einen 160 m hohen Wohnturm. Man pendelt dort weniger aufs Land, die Städte wachsen nach innen, und dafür benötigt man Wolkenkratzer. Unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung von Städten kann das interessant sein.
Herr Citterio, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Barbara Brubacher.
Antonio Citterio
Zu seinen Entwürfen zählen Sitzmöbel, Regale, Türgriffe, Betten, Kücheneinrichtungen und komplette Bäder für Ansorg, Arclinea, Axor-Hansgrohe, B&B Italia, Flexform, Flos, Fusital, Hermès, Iittala, Kartell, Maxalto, Sanitec Group – Pozzi Ginori, Technogym, Tre Più und Vitra. Der 1950 in Meda bei Mailand geborene Antonio Citterio ist nicht nur Designer, sondern auch Architekt, besuchte bis 1975 das Polytechnikum in Mailand – für ihn eine logische Konsequenz nach seiner Ausbildung als Möbeldesigner am Art Institute Cantù. Mit seinem 1999 zusammen mit Patricia Viel in Mailand gegründeten Büro „Antonio Citterio and Partners“ realisiert er weltweit Projekte im Bereich Wohnen, Arbeiten und öffentliche Plätze – derzeit auch das „Nove by Citterio“, ein Bürogebäude des Projektenwicklers Horus Development im neuen Münchner Wohn- und Gewerbequartier Arnulfpark zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke, das Anfang 2017 bezogen wird.