Harmonischer Dialog
Neuer Baustein einer Waldorfschule im Sinne anthroposophischer Architektur
Diese Waldorfschule ist eine ganz besondere, denn sie war weltweit die erste. Eröffnet wurde die auf den pädagogischen Erkenntnissen von Rudolf Steiner basierende Schule 1919 in Stuttgart von Emil Molt, dem Eigentümer der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria. Das Gebäudeensemble der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe befindet sich in einem höhergelegenen Wohngebiet mit Blick auf die Stadt. Ein Teil der Gebäude orientiert sich in der Gestaltung an der Lehre der Anthroposophie, sprich an organischen und geometrischen Formen der Natur. Einzelne Gebäude wurden von bekannten deutschen Architekten entworfen.
In diesem Umfeld vermittelt der Schulneubau von Behnisch Architekten zum Bestand und ergänzt den Campus. Die Hauptfassade zur Straße orientiert sich in ihrem Maßstab an den nahe gelegenen Villen und fügt sich auf diese Weise stimmig in die Umgebung. Die horizontale Dreiteilung aus Sockel, zwei Hauptgeschossen und Dach – ergänzt durch den Einsatz von Farbe – spiegelt das Verständnis anthroposophischer Architektur. Entlang seiner Längsachse den Hügel hinauf reagiert der Neubau allmählich auf die angrenzenden Schulgebäude und erzeugt einen harmonischen architektonischen Dialog. Ein transparentes Atrium bildet das Herzstück des Gebäudes und erweitert den Außenraum der Schule zu einem „vertikalen Schulhof“ im Inneren. Das schwarze Dach bildet im Wesentlichen eine Kappe aus vier metaphorischen Schollen, die ihre gefaltete Form jeweils von Polygonen ableiten. Sie spiegeln die Dachlandschaft der bestehenden Campusgebäude wider, einschließlich einer brutalistischen Aufführungshalle.
Das Gebäude beherbergt die Klassen 8 bis 13 und umfasst vier Geschosse, wobei die unterste Ebene teilweise in den Hang eingebettet ist. Die Geometrie des Grundrisses ist ebenfalls von anthroposophischen Prinzipien geprägt. Einzelne Räume spielen eine wichtige Rolle und definieren sich über ihre räumlichen Qualitäten und Atmosphären – wie Aussicht, Flexibilität, Farben, Klang, Schutz, Geborgenheit – und nicht über traditionelle Programme oder Funktionen. Verkehrsräume dienen nicht nur als Zugangswege, sondern auch als Treffpunkte und für Veranstaltungen. Das Farbkonzept im Inneren geht auf Rudolf Steiner zurück und stellt die Entwicklungsstadien eines Kindes dar.
Fotos:
David Matthiessen
www.davidmatthiessen.com
(Erschienen in CUBE Stuttgart 04|24)