Nicht in Stein gemeißelt
Aus einem Bildhaueratelier wird Wohnraum auf mehreren Ebenen
Gebäude sind etwas für die Ewigkeit – und auch wieder nicht. Sie können Generationen überdauern, aber nur, wenn sie sich den immer neuen Bedürfnissen anpassen. Flexibilität ist aber nicht nur von der Bausubstanz gefordert, sondern auch von der Bauherrschaft und den Planenden. Bei einem ehemaligen Bildhaueratelier waren alle Beteiligten offen dafür, ungewöhnliche Wege zu gehen. So konnten Moser und Hager Architekten dort neuen Wohnraum schaffen. Dieser zieht sich nun über mehrere Galerieebenen bis ins Dachgeschoss des Nachbargebäudes.
Der Atelierraum war in den 1950er-Jahren an einen zweigeschossigen Bestand aus dem Jahr 1670 angebaut worden. Eine schmale Wendeltreppe erschloss den 6,5 Meter hohen Raum, der nur von einem 3,5 Meter breiten Oberlicht erhellt wurde. Mit dem Umbau wurde in die Westfassade ein Fenster eingeschnitten, das vom Dach bis runter auf die Fensterbank reicht. So verbindet sich der Wohnraum auch an kühleren, nasseren Tagen mit dem Garten. In der wärmeren Jahreszeit findet sich unter der leichten Stahlkonstruktion der neu angebauten Pergola immer ein schattiges Plätzchen im Freien. Die Konstruktion nimmt das Material aus dem Innenraum auf. Denn dort prägen Stahlträger den Charakter des lediglich 45 m2 großen Atelierraums. Sie tragen die Emporen, die den Wohnraum in der Höhe auf beiden Seiten erweitern. Abgeschlossene Räume finden sich hier nicht. Essen, kochen, wohnen – schlicht das familiäre Leben – findet in einem großen Raum statt, wenngleich auf mehreren Ebenen. Erschlossen werden diese von einer schlanken Stiege, die sich an die Rückwand des Raumes und damit an das Nachbargebäude schmiegt. Sie endet allerdings nicht auf der Ebene der Empore, sondern führt fast bis unter den First und weiter in den Altbestand. In dessen Dachgeschoss liegen die Schlafräume, Kinderzimmer und Bäder. Spätestens mit dieser Verflechtung wird deutlich, wie vielschichtig die Weiterentwicklung von Gebäuden durch einen Umbau sein kann und welches Potenzial für die Schaffung individuellen Wohnraums darin liegt.
Fotos:
Gregor Graf
www.gregorgraf.net
(Erschienen in CUBE Wien 02|23)