Bauen mit Sinn und Bestand
Umbau schöpft bestehende Strukturen aus und schafft flexible Raumkonfigurationen
Umbauen heißt auch Umdenken, denn das Potenzial eines alten Gebäudes neu zu entfalten und mit zeitgemäßem Leben zu füllen, erfordert es, offen zu sein für Veränderung, verantwortungsbewusst zu handeln und kreativen Lösungen Raum zu geben. Ziel ist es ja, den Bestand zukunftsfähig zu gestalten und wertvolle Ressourcen zu schonen.
Dieser 3,5-geschossige Bau hat in den letzten 100 Jahren schon einige Veränderungen erfahren: 1936 wurde die Tenne angefügt, 1960 das Dach ausgebaut, immer mal nachgebessert und nun erneut erweitert. Das Stuttgarter Studio für Architektur und Gestaltung Seebald. fasste die verschiedenen Bauabschnitte durch eine neue einheitliche Fassadengestaltung zusammen und setzte sie im Innern in Szene. Beim Umbau wurde das Gebäude bis auf den Gewölbekeller entkernt und das bestehende Fachwerk freigelegt. Zur besseren Erschließung wurde die Bestandstreppe um 180 Grad gedreht. Um einen ebenen Durchgang vom Wohnhaus in die Tenne zu ermöglichen und eine Galerieebene einziehen zu können, wurde diese um 1,20 Meter abgesenkt und steht als separat zugänglicher Verkostungsraum des Weinguts zur Verfügung. Bei der Wahl der Materialien war den Architekt:innen wichtig, die Identität der jungen Familie, die sich seit etwa sechs Jahren im naturverbundenen Weinbau einen Namen macht, widerzuspiegeln. So prägen vor allem natürliche Werkstoffe die Räume: Während sich die vorvergraute Massivholzfassade aus Weißtanne um das Gebäude legt, finden sich auch im Innenraum Holzelemente in (Einbau-)Möbeln, Treppen, Fenstern und im raumdominierenden Fachwerk wieder. Auch der Anbau mit dem Wohnzimmer ist als Holzkonstruktion ausgeführt.
Im Kontrast zu den natürlichen Materialien stehen die Bauelemente aus unbehandeltem Schwarzstahl: so wie die skulpturalen Spindeltreppen, die sich wie Korkenzieher nach unten drehen oder die Stele mit dem ausgelaserten Logo des Weinguts. Obwohl der Bestand betagt ist, konnte er mit einem innovativen Technologie- und Energiekonzept zu einem nachhaltigen Smart Home aufgewertet werden: So werden durch die Brennstoffzellenheizung Wärme und Elektrizität erzeugt. Mit der Zisterne wird Regenwasser gespeichert sowie das Grundwasser geschont und der Naturpool im Garten über einen Biofilter gereinigt. Nicht alle Räume sind vollständig ausgebaut und lassen sich problemlos anpassen. Im Dachgeschoss können weitere Zimmer entstehen oder die Tenne kann doch zum Studio bzw. zur Einliegerwohnung ausgebaut werden. Mit nur wenigen architektonischen Eingriffen bleibt das Gebäude mit seinen rund 300 m² Fläche so „multifunktional“, wie es in den vergangenen 100 Jahren war.
Fotos:
David Franck Photographie
www.davidfranck.de
(Erschienen in CUBE Stuttgart 02|24)