Meister des Wiener Geflechts
Vom Hobby zu Berufung und Zufriedenheit
Eigentlich stammt es ja aus Indien, das „Wiener Geflecht“. Praktisch und luftig war es in den Gefilden mit hoher Luftfeuchtigkeit und obendrein schön. Die Engländer brachten es nach Europa und Michael Thonet revolutionierte damit die Möbelbranche. Nicht nur dank des unverkennbaren Designs seines Wiener Kaffeehausstuhls, sondern auch weil er quasi aus dem Katalog heraus verkaufte. Robert Roth vergleicht es gar mit dem heutigen Ikea: Millionenfach wurden die für damalige Verhältnisse leichten Sessel zerlegt und platzsparend verpackt in die ganze Welt verschickt. Um in die Jahre gekommene Stühle mit Geflecht, ganz gleich ob von Mies van der Rohe, Josef Hoffmann oder Marcel Breuer designt, kümmert sich heute Robert Roth. Einst studierte er Architektur und übte diesen Beruf auch lange Jahre aus, doch seine Liebe zu alten Möbeln führte seinen Lebensweg zu seiner wahren Berufung in Richtung Zufriedenheit.
Im Kloster Schlierbach in Oberösterreich, dort wo alles begann, fiel er seinem damaligen Lehrer im Flechtkurs gleich als besonders talentiert auf. Die ersten Restaurationsaufträge ließen auch nicht lange auf sich warten und Robert Roth richtete sich in einem Trakt des ehemaligen Gasthofs seines Urgroßvaters im dörflichen Oberlaa, wo er auch heute noch nur ein paar Türen weiter arbeitet, eine Werkstatt ein. Er spezialisierte sich auf das Wiener Geflecht, das aus der Rinde der Rattanpalme geflochten wird. Reich? Nein, reich wird man mit diesem Handwerk nicht, aber zufrieden! Dreißig Sessel muss man erst einmal geflochten haben bis es wirtschaftlich wird. Sechs Arbeitsschritte und zwölf bis fünfzehn Stunden liebevoller Zuwendung braucht eine Sitzfläche und jede einzelne hat seine Eigenart. Mal sind sie eckig, mal rund oder auch geschwungen, mal ist es Wiener-, mal Stern- oder Diamantgeflecht und jedes Einzelne muss man einmal gemacht haben um zu wissen, wie man den Originalzustand wieder herstellt.
„Mein Liebling ist das Thonet Schaukelsofa Nr. 7004, aber ich flechte alles, was mir in die Hände kommt.“ Das zeigte er im Rahmen der Vienna Designweek 2015 gemeinsam mit der in London ansässigen Designerin Stephanie Hornig. Kurzerhand ersetzte er die starren Holzrahmen durch Leder- oder Textileinfassungen und ließ so dreidimensionale Körbe, Taschen und Rucksäcke entstehen. Robert Roth ist einer von nur sechs bei der Wirtschaftskammer eingetragenen Korb- und Möbelflechtern. Ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk? Robert Roth steuert dagegen! Und zwar mit seinen Kursen zum Thema Stuhlflechten an der Wiener Volkshochschule und im Stift Schlierbach in Oberösterreich, dort wo alles begann. Nicht nur die Handwerkskunst möchte der sympathische 63-Jährige dort vermitteln, sondern vor allem auch seine Leidenschaft. Denn vielleicht will es ja der Zufall, dass er mögliche Nachahmer findet, die wie er ihre Bestimmung im „Wiener Geflecht“ finden.
www.sesselflechten.at
Fotos:
Kollektiv Fischka/Kramar
www.fischka.com
Nadine Cordial Settele