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800 Tonnen pro Sekunde

Ein Gespräch über Baustoffe, Beharrungskräfte und Bewusstseinswandel

800 Tonnen pro Sekunde
Prof. Dr. Werner Sobek
CUBE: Herr Prof. Dr. Sobek, Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigem Bauen, sowohl in... mehr
CUBE: Herr Prof. Dr. Sobek, Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigem Bauen, sowohl in Forschung und Lehre als auch praktisch in weltweit realisierten Projekten. Bereits im Jahr 2000 haben Sie Ihr eigenes Wohnhaus (erstes Bild) modular, energieautark, emissionsfrei und komplett recyclebar erbaut. Das deutsche Bauwesen scheint von einem solchen holistischen Ansatz noch weit entfernt. Liegt das an unseren Bauordnungen, die technischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterherhinken?

Prof. Dr. Werner Sobek: Es gibt sicher viele unterschiedliche Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Die Kleinteiligkeit der Branche, die langen Lebenszyklen, die strikte Trennung von Planung und Ausführung etc. Letztlich liegt es aber vermutlich auch stark an den Beharrungskräften von seit langem eingespielten Prozessen. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel – und müssen hierfür die erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Der Markt allein kann und wird es nicht richten. Der Markt ist zwar ein sich selbst organisierender Prozess kollektiven Handelns, er ist aber an keinem kollektiven Ziel orientiert und hat als solcher weder Moral noch Gewissen. Die Gesellschaft selbst muss wissen, was sie will – und der Gesetzgeber hat diesen Willen in Zielvorgaben abzubilden und umzusetzen. Gleichzeitig sollte er aufhören, die anzuwendenden Methoden anstatt die zu erreichenden Ziele vorzuschreiben. Wie Architekten und Ingenieure die gesamtgesellschaftlich entwickelten Ziele erreichen, sollte deren Innovationskraft überlassen bleiben. Man muss den Menschen die Freiheit lassen, die für ihren Verantwortungsbereich jeweils besten Werkzeuge und Methoden zu entwickeln.

Wird die derzeitige Ausbildung von Architekten und Ingenieuren an Hochschulen und Universitäten den Herausforderungen an klimagerechtes und nachhaltiges Bauen gerecht? Ist diese Trennung überhaupt noch zeitgemäß?

Nein, diese Trennung ist sicher nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis aller in der Verantwortung für das Gebaute stehenden Planer. Und wir müssen uns gemeinsam die Frage stellen, wohin sich das Bauen in der Zukunft eigentlich entwickeln soll. Diese Frage ist die Frage nach der Zukunft selbst. Natürlich ist ein Nach-Vorne-Denken immer mit dem Risiko des Irrens, des Scheiterns verbunden – aber ohne diese Möglichkeit des Irrtums kann es auch keine Bewegung nach vorne geben, verharrt man immer auf gleichem Terrain. Der Philosoph Hegel fasste dies sehr gut mit seiner Aussage zusammen, dass die Angst vor dem Irrtum bereits der Irrtum selbst sei. Essenziell für das Skizzieren der gebauten Welt von morgen ist eine nüchterne Bestandsaufnahme globaler Trends von heute. Es geht zum einen darum, herauszufinden, welche die technischen Konstituenten und welche die gesellschaftlichen Konstituenten dieser Zukunft sind, die sich heute bereits abzeichnen. Will man daraus Rückschlüsse auf die Aufgaben von Bauingenieuren und Architekten ziehen, muss man zum anderen herausfinden, wer diese Zukunft konzipiert. Ob sie überhaupt jemand konzipiert – oder ob wir sie einfach so entstehen lassen als Abfolge einzelner, in sich vielleicht noch überlegter Schritte, nicht jedoch als überlegten Weg, der durch die Summe von Schritten entsteht. Denn nur wenn diese Zukunft bewusst gestaltet wird, können wir nach unserer eigenen Rolle darin Ausschau halten.

Energieeinsparung und Energieeffizienz ist seit Jahren das Mantra beim Bauen. Sie haben einmal gesagt, wir hätten kein Energieproblem, sondern ein Baustoffproblem. Wie meinen Sie das?

Wir haben in der Tat kein Energieproblem. Die Sonne strahlt ungefähr 10.000-mal so viel Energie auf die Erde ein, wie die Menschheit für alle ihre Funktionen benötigt. Das sogenannte Energieproblem besteht darin, das politische wie gesellschaftliche Entscheidungsträger einschließlich der Wissenschaftler es über Jahrzehnte hin versäumt haben, unsere Energieversorgung von einer fossilen auf eine solare Basis umzustellen. Und nun stellen wir fest, dass wir für einen zügigen Umstieg von einer fossilen auf eine solar basierte Energieversorgung weder die Werkzeuge noch die Methoden noch die Zeit haben.

Unser eigentliches Problem liegt aber bei den Baustoffen. Jede Sekunde nimmt die Erdbevölkerung um 2,6 Menschen zu. Um diesen zusätzlichen Menschen Stadt- und Lebensraum zu bieten, müssen wir massive Bauanstrengungen unternehmen. Diese wiederum verlangen nach enormen materiellen Ressourcen. Langfristig betrachtet sind diese materiellen Ressourcen auf der Erde jedoch nicht vernünftig beschaffbar bzw. nicht verfügbar. Wenn wir auf einem bautechnisch einfachen Niveau bauen, dann liegt der weltweite Materialbedarf bei rund 800 Tonnen – pro Sekunde! Wenn wir von einem hochwertigen, umfassenden Niveau wie in Deutschland sprechen, dann liegt der Ressourcenbedarf sogar bei 1.300 Tonnen. Und das ist ein Problem, denn schon heute gibt es dramatische Engpässe bei der Beschaffung von Baustoffen. Ich habe meine Idee des Bauens in der Zukunft deshalb in zwei Forderungen zusammengefasst. Erstens: Für mehr Menschen mit weniger Material bauen. Notwendig ist eine dramatische Reduktion des Materialverbrauchs bei einem gleichzeitigen Wechsel der zumeist verwendeten Baustoffe. Diese Hinwendung zum Leichtbau muss mit der Einführung des Recyclingprinzips in das Bauschaffen einhergehen. Zweitens: Notwendig ist der schnellstmögliche Ausstieg aus der Nutzung fossil basierter Energie, also der schnellstmögliche Ausstieg aus der Produktion gasförmigen Abfalls mit der viel zu nobel klingenden Bezeichnung „Emissionen“.

Wäre ein solches ganzheitliches Bauen teurer und was braucht es, damit es zum selbstverständlichen Standard wird?

Nachhaltiges Bauen muss nicht teurer sein. Vor allem: Wie errechnet sich der Preis? Wenn wir die beim heutigen Bauen entstehenden Umweltschädigungen mit einpreisen würden, dann würde sich jedwedes nachhaltiges Bauen als preiswert darstellen. Was also ist „rentabel“? Etwas, was sich für den Einzelnen „rentiert“, der wahre Preis aber von der Gesamtgesellschaft einschließlich der kommenden Generationen bezahlt wird? Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns vom klassischen Rentabilitätsdenken zu verabschieden haben. Viele der vor uns liegenden Investitionen werden sich im klassischen Sinn nicht rentieren. Aber: Sie sind eine Investition in die Zukunft der nach uns kommenden Generationen. Die griechischen Bauern sagen: Einen Olivenbaum pflanzt man für die Enkel. Dieses Prinzip der Gemeinschaft und der Nachhaltigkeit müssen wir, so meine ich, als Gesellschaft wieder neu lernen und zum Ziel unseres gesellschaftlichen Handelns machen. Die Energiewende als eine der großen Aufgaben, die vor uns stehen, ist eine Investition in die Zukunft, die sich für die heutige, ältere und wohlhabende Generation in deren Lebenszeit nicht mehr „rechnen“ wird. Als Mitverursacher der heutigen und der zukünftigen Probleme sollte sich aber gerade diese Generation der heute 60- bis 90-Jährigen ihrer Verantwortung bewusst werden und sie annehmen. Davon abgesehen muss nachhaltiges Bauen aber nicht zwangsläufig teurer als das bisher Praktizierte sein. Durch Vorfertigung und Modularität lassen sich im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen erhebliche Kostenvorteile realisieren.

Würden Ihre Gebäude anders aussehen und funktionieren, wenn Sie „nur“ Architekt oder „nur“ Ingenieur wären?

Ja, das wäre sicher so. Ich habe sowohl Architektur als auch Bauingenieurwesen studiert und fühle mich in beiden Disziplinen verankert. Aber unabhängig davon gelingen unsere Gebäude immer nur in Teamarbeit. Ein einzelner kann heute die komplexen, multidisziplinären Probleme und Zusammenhänge bei einem Gebäude nicht mehr in dem Grad beherrschen, der notwendig ist, um Spitzenleistungen zu schaffen oder um in gekonnter Weise Neuland, den Avantgarde-Bereich, zu betreten. Enges interdisziplinäres Zusammenarbeiten, häufig auch das Aufbrechen tradierter Kompetenzverteilungen, wird somit zwingend.

Notwendig ist ein Zusammenarbeiten, bei dem jeder die Sprache des anderen, dessen Denkwelten, dessen Wertesysteme und Zielvorstellungen versteht. Wenn man in den Prozess der Kreation, der Schaffung der gebauten Umwelt eingebunden ist, ist es zwingend, über die Inhalte der Nachbardisziplinen und die Denkweise der anderen Planungspartner Bescheid zu wissen. Wenn man dies nicht schon während des Studiums gelernt hat, tut man sich im Berufsleben sehr schwer.

Herr Prof. Dr. Sobek, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Bettina Schön.

Prof. Dr. Werner Sobek ist Architekt und beratender Ingenieur. Er leitet das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart und lehrt an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland. Seit 2017 ist er Sprecher des Sonderforschungsbereichs über „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“. Die Werner Sobek Group ist ein weltweit tätiger Verbund von Planungsbüros für Tragwerks- und Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsberatung und Design, deren Arbeiten sich durch hochwertige Gestaltung und ausgeklügelte Konzepte zur Minimierung von Energie- und Materialverbrauch auszeichnen. Werner Sobek ist Gründer und Präsident mehrerer gemeinnütziger Initiativen.

(Erschienen in CUBE Real Estate 02|19)

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