EIn Glanz(kohle)-Stück
Mehrfamilienhaus als kristalline Wohnskulptur
Ein Stück Kohle, das Architekt Holger Gravius von einem Besuch unter Tage mitbrachte, liess ihn nicht mehr los. Form und Struktur des Kristalls inspirierten ihn bei der Planung eines Mehrfamilienhauses: Es entstand eine kristalline Wohnskulptur mit dem Namen „Anthrazit“. „2017 ist das Jahr, in dem die letzte Zeche im Ruhrgebiet die Kohleförderung einstellt. Der Anthrazit ist für mich wie ein modernes Denkmal. Er greift die Vergangenheit unserer Region auf, ist aber architektonisch ganz in die Zukunft gerichtet.“
Auffallend ist die außergewöhnliche Fassade: Eine allumfassende Hülle aus grauen Faserzementplatten. Dach und Außenwände sind eins. Wie bei einem Kohlekristall springt das Volumen vor und zurück. Regenrohre, Rinnen, Briefkästen, Müllboxen, etc. sind so geschickt integriert, dass man sie nicht auf den ersten Blick erkennt. Auch die Garagen, die als ein Block quasi unter das Haus geschoben wurden, nimmt man als solche zunächst nicht wahr. Stattdessen prägen wohl dosierte Oberflächenwechsel das Gebäude und glänzende Fensterlaibungen aus blankem Aluminium erinnern an die kristalline Struktur der Anthrazitkohle, auch Glanzkohle genannt. Anstelle von Anbauten oder Balkonen schnitt der Architekt Loggien in das Gebäude, so als wären dort Stücke beim Abbau der Kohle herausgebrochen. Außen wie innen erzählt das Haus auch die Geschichte vom Entstehen der Kohle aus Pflanzen zu Torf, zur Braun- und später zur Steinkohle. Das Motiv des Ursprungs (Pflanzen) taucht immer wieder in Form einer Abstraktion auf: Auf den Garagen zur Straße hin (Siebdruck Alucobond), auf dem Balkon zur Gartenseite (lasergeschnittenes, verzinktes Stahlblech) und in Form einer echten Moosfläche im Treppenhaus des Dachgeschosses. Im Keller dient ein durchgefärbter schwarzer Kammputz als Metapher für das Kohleflöz. Das Geländer des Treppenhauses erinnert mit seiner Füllung aus Schweißdrahtgitter an die Körbe, mit denen die Bergleute unter Tage gebracht wurden. Eine LED-beleuchtete Fotoglaswand im Erdgeschoss erzählt vom Eingriff der Menschen und der Zurückeroberung des Terrains durch die Natur. Die Mooswand im Obergeschoss wirkt wie ein Kunstwerk.
Dunkel und schwer ist der Anthrazit aber nicht. Die sechs Mietwohnungen sind von großzügig offenen Grundrissen geprägt. Die Räume sind allesamt mit überdimensional großen Fenstern ausgestattet und lassen viel Licht und Luft in das Gebäude. Und weil längst nicht mehr die Kohle der Energieträger der Zukunft ist, wurde bei dem Niedrigenergiehaus im KfW-40 Standard auch an zeitgemäße, umweltfreundliche Haustechnik über eine Solaranlage gedacht.
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Architekten:
KenChiku
Architektur + Design
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Rohbau:
Sprenker + Gravius
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Dachdecker (inkl. Vorhangfassade):
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Estrich:
Filip Babic Bodenverlegung und Estricharbeiten
Telefon: 0201-705848
Schlosser:
Feldhaus Metallbau
Telefon: 0201-667817
Fliesen:
Knappmann + Co.
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Fotos:
Marc Wohlrab