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Querdenker und Häuserretter

Der Münchner Architekt Peter Haimerl kombiniert Vergangenheit und Zukunft

Querdenker und Häuserretter
Konzerthaus Blaibach
Querdenker und Häuserretter
Haus am Schedlberg
Querdenker und Häuserretter
Schusterbauernhof
CUBE: Sie gelten als einer der ungewöhnlichsten Architekten weit und breit. Worin liegt Ihr... mehr
CUBE: Sie gelten als einer der ungewöhnlichsten Architekten weit und breit. Worin liegt Ihr Ausscheren aus dem konventionellen Baugeschehen begründet?

Peter Haimerl: Das ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich liegt es darin begründet, dass mein Zugang zur Architektur nicht so sehr von der Bauseite her kommt. Mich hat eher immer interessiert, wie sich Räume zusammensetzen, wie sich Wirklichkeit zusammensetzt, wie sie entsteht. Was ist Wirklichkeit eigentlich und wie kann man durch Gedanken Wirklichkeiten verändern. Es geht ja nicht darum, dass man bewusst ausschert. Schon im Studium habe ich versucht, bestimmte philosophische Ansätze in einen Entwurf zu integrieren, indem die Entwurfsmethodik oder die Gedanken selbst zum Teil des Bauwerkes wurden und das hat sich in der Praxis dann einfach fortgesetzt.

Gab es entscheidende ‚Influenzer‘ auf Ihrem Weg?

Für mich der wichtigste Mann war ohne Zweifel Peter Eisenman, weil er der Erste war, der eher ein Philosoph als ein Architekt war und der diese Philosophie tatsächlich in Gebäude verwandelt hat – und aber durch diese Verwandlung der Philosophie in dem Gebäude auch die Architektur sehr stark verändert hat. Er hat auch die Sichtweise auf die Architektur enorm erweitert.

Am meisten Aufsehen in Ihrem bisherigen Schaffen dürfte der Konzertsaal in Blaibach erregt haben. Wie kamen Sie auf die Idee, dort ein Konzerthaus zu bauen und es in die Erde einzugraben?

Es war weniger die Idee, ein Konzerthaus zu bauen. Tatsächlich hatten wir am Anfang gar keine Idee, es ging vielmehr darum, einen kleinen Ort im Bayerischen Wald mit Kultur aufzuladen und auf der Suche nach Mitspielern, nach Protagonisten, die in der Lage sind, eine großartige Idee zu entwickeln und dann auch umzusetzen und zu tragen, sind wir auf Thomas Bauer gestoßen, der auch aus dem Bayerischen Wald stammt und der die gleiche Intention hatte, den kulturellen Leerraum, der im Bayerischen Wald vorherrscht, zu nutzen, um mit völlig neuen kulturellen Ansätzen neue Räume zu schaffen. Die Idee, ein Konzerthaus zu bauen, stammt von ihm. Der erste Gedanke war, einen bestehenden Stadel auszubauen. Der wurde sehr schnell fallengelassen, weil uns klar war, dass, wenn man neue Kultur schaffen und einen Ort prägen möchte – und das wollten wir –, man nicht von dem ausgehen kann, was da ist, sondern man den bestmöglichen Konzertsaal aus akustischer Sicht machen muss. Außerdem muss man überlegen, wie sich ein hochwertiger Konzertsaal in einem kleinen Ort repräsentiert, und zwar ohne von dem kleinen Ort auszugehen. Vielmehr ist wichtig, wie dieses groß gedachte Objekt in den kleinen Ort integriert werden kann.

Aber die Erdlagerung war in erster Linie eine akustische Entscheidung?

Es gab bestimmte topografische Voraussetzungen. In diesem Fall eine Hangkante, über die wir den Konzertsaal kippen lassen wollten. Die Ausgestaltung durch die Granitwand war dem geschuldet, dass wir die Bautradition aufnehmen wollten, die im Bayerischen Wald üblich ist, wo hauptsächlich Granitwände als Mauerwerk verwendet werden. Und diese starke Setzung im Ort war auch einer Eigenschaft der Bewohner des Bayerischen Waldes geschuldet, nämlich eine sehr starke Individualität an den Tag zu legen, die eine gewisse Gewitztheit, eine gewisse Kraft hat, die sich nicht in erster Linie versteckt, sondern die sich selbstbewusst neben andere Gebäude platziert. Und durch diese selbstbewusste Setzung verschiedener, starker Charaktere sind früher im Bayerischen Wald interessante Einheiten entstanden, die diese spezielle Kraft der Orte ausgemacht haben.

Sie sagen, das Experiment ist aufgegangen. Hat sich die Dorfstruktur durch den Konzertsaal verändert? Es gab ja vorher einen ziemlich großen Leerstand. Hat der Bau das Dorf revitalisiert?

Das Dorf hat sich kaum revitalisiert. Es musste sich auch nicht so sehr revitalisieren, der Leerstand war in der Mitte, den haben wir mehr oder weniger komplett beseitigt. Der Ort darum herum hat ja diese üblichen blühenden Einfamilenhäuser.

Das was Sie teilweise machen, kann man kaum ‚Bauen im Bestand‘ nennen, sondern es sind Häuserheilungen oder Interventionen … Was ist Ihre Haltung dazu?

Ich bin einfach der Überzeugung, dass, wenn man alte Häuser weiterbaut und umbaut, man sehr aufpassen muss, um sie nicht unter Wert zu verkaufen. Es geht nicht einfach darum, einen Rückbau zu erzeugen oder zu versuchen, sich in die Vergangenheit zurückzudenken. Leute, die früher diese Häuser bewohnt haben, wollten in der Zeit leben und auch in die Zukunft denken. Die Häuser, die wir umbauen – je nach noch erhaltener Substanz – versuchen wir so weiterzubauen, wie ich glaube, dass es die Menschen auch gemacht hätten, wenn sie die Möglichkeiten gehabt hätten. Mit der gleichen Qualität, die früher da war, mit dem gleichen Verständnis, das diesen Häusern entgegengebracht wurde, aber mit zeitgemäßen Mitteln.

Sie haben eine Organisation ins Leben gerufen, die sich Haus.Paten nennt. Wie funktioniert das?

Diese Haus.Paten funktionieren leider nicht. Wir wollten ursprünglich mit Architektenkollegen auf die Suche nach alten Häusern gehen, um diese Häuser zum einen zu retten und auf der anderen Seite moderne Architektur im Bayerischen Wald zu implizieren. Es hat sich leider herausgestellt, dass es praktisch keine Kollegen gab, die bereit waren, sehr viel Zeit unentgeltlich damit zu verbringen, alte Häuser zu suchen, zu retten oder, die auch bereit waren, lange Diskussionen mit Bewohnern oder Gemeinderäten über die Zukunft ihrer Orte zu führen. Eigentlich ist nur noch die Firma übrig geblieben. Die ursprüngliche Idee, mit Partnern zusammen eine groß angelegte architektonische Initiative zu starten, ist gescheitert. Mittlerweile mache ich das alles ganz allein.

Wie würden Sie Ihre Haltung Ihrer Arbeit gegenüber in Worte fassen? Ihre architektonische Haltung? Ihr Credo?

Was für eine supereinfache Frage! Man soll das bauen, was man denken kann. Das ist tatsächlich das Grundcredo, weil ich eben glaube, dass Architektur viel mehr sein kann, als nur Strukturen im Kontext zu erschaffen. Ich glaube, dass Architektur viel schöpferischer ist und eine schöpferische Wirkung auf eine Umgebung haben kann, dass man damit tatsächlich Probleme lösen kann, dass man neue Verknüpfungen herstellen kann, tatsächlich Welten, Marken erschaffen kann, an die sich andere wieder dranhängen können. Und deshalb glaube ich, dass Architektur der kreativste und impulsgebendste Bereich neben der digitalen Welt ist.

Gerade haben Sie wieder ein Haus gerettet – das fast völlig verfallene Haus am Schedlberg. Wie kamen Sie darauf, hier mit Betonquadern zu arbeiten?

Das hat sehr viele Gründe. Der erste Grund ist, dass eine sehr simple Grundgeometrie beim Bauen im Bayerischen Wald oder beim ruralen Bauen immer Barren als Ausgangspunkt hatte. Speziell im Bayerischen Wald waren das Granitbarren, die dann zu Türstöcken, zu Trögen, zu Pflastersteinen weiterverwendet wurden, oder Baumstämme, die zu länglichen Barren verarbeitet wurden und zu gezimmerten Häusern zusammengesteckt wurden. Der Barren war immer der Ausgangspunkt und der Übergangspunkt von Naturobjekten wie wilden Steinen oder runden Bäumen hin zu Kulturobjekten, die man dann als Haus bezeichnet. Wir wollten diesen Ausgangspunkt in die heutige Zeit übertragen und weiterführen. Wir nehmen die Barren eher als Pixelstruktur, die die Häuser umschwirren, ergänzen oder auch bauen, aber ähnlich wie in der digitalen Welt sind diese Pixel frei. Sie können alles – und sie können auch ein Haus retten.

Davor gab es das Schusterbauernhaus in Riem und nun folgt der Derz­bachhof – wollen Sie Tradition erhalten, umwandeln oder was genau ist Ihr Interesse? Und wie erhalten Sie die Ideen zu Ihren extrem unkonventionellen Lösungen?

Ich will so viel wie möglich erhalten. Meine Bauten zeichnen sich dadurch aus, dass die Methode, die wir anwenden, maximal viel Substanz erhält. Es gibt keine Methode, die mehr Bausubstanz erhält als durch unsere Interventionen. Und dann gibt es noch eine Invention, die dazukommt. Genau darum geht es – geschichtlich und menschlich so viel spürbar zu lassen wie möglich sowie durch Inspiration und genaues Betrachten der vorhandenen Strukturen Einbaumöglichkeiten zu finden oder der Struktur gemäß das Gebäude weiterzudenken.

Dabei sehen Sie sich aber weniger als Denkmalschützer …

Doch, ich sehe mich in allererster Linie als Denkmalschützer. Nach der Charta von Venedig gibt es zwei wesentliche Hauptpunkte: Der eine ist Substanzerhalt und es gibt keine andere Methode als die, die wir häufig anwenden, die zu diesem maximalen Substanzerhalt führt und der zweite ist Weiterleben in der modernen Zeit durch eine moderne Nutzung. Diese zwei Punkte erfüllen wir, glaube ich, im höchsten Maße.

Wie wohnen Sie selbst mit Ihrer Familie?

Ich wohne in einem Altbau – ich liebe Altbau.

Können Sie sich eine ‚normale‘ Bauaufgabe überhaupt noch vorstellen – oder würde Sie das zu Tode langweilen?

Ich empfinde meine Arbeiten alle als komplett normal. Ich glaube, dass die Gedanken, die ich in meine Häuser stecke, immer sehr bodenständig sind, auch wenn das viele verwundern wird. Es sind keine sehr komplizierten Gedanken. Die Häuser, die wir heutzutage als ‚normal‘ betrachten, indem wir sie mit aufgeschäumtem Erdöl zuschlonzen, Plastikfenster einbauen und ihnen die Ästhetik von Märklinhäusern geben – so ein Haus kann ich nicht als normal empfinden.

Herr Haimerl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Christina Haberlik.



Peter Haimerl

geboren 1961 in Eben, Bayerischer Wald
1981–1988 Architekturstudium an der Fachhochschule München
1988–1990 Mitarbeit bei Raimund Abraham, Günther Domenig und Klaus Kada
1991 Bürogründung

Peter Haimerl konzentriert sich auf Projekte, die die Grenzen konventioneller Architektur überschreiten. Der Anspruch ist, mit jedem Projekt unkonventionelle Lösungen zu gestalten und Innovationen zu entwickeln. In seinem Architekturbüro entstehen Konzepte, in denen Architektur mit Bereichen wie Computer-Programmierung, Soziologie, Wirtschaft, Politik oder Kunst fusioniert. Im Rahmen der „Haus.Paten“-Initiative engagiert Haimerl sich umfassend für die Baukultur im Bayerwald. Haimerl wurde für seine Projekte mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wie der „Großen Nike“, dem „Bayerischen Staatspreis für Architektur“ und dem „Bayerischen Kulturpreis“.

(Erschienen in CUBE München 03|19)

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