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Du sollst nicht Langweilen

Young in mind – das sind die Gebäude von MVRDV bis heute geblieben

Cube: Das neueste Gebäude von MVRDV – gemeinsam mit Nuyken von Oefele Architekten – in... mehr
Cube: Das neueste Gebäude von MVRDV – gemeinsam mit Nuyken von Oefele Architekten – in Deutschland, das „Werk 12“ in München, erinnert an Ihren Expo-Pavillon in Hannover.

Jacob van Rijs: Es war die ursprüngliche Idee des Auftraggebers, den Pavillon zu übernehmen und nach München zu transportieren. Ein verrückter Gedanke. Wenn man einige Minuten darüber nachdenkt, merkt man, dass das völlig unmöglich und viel zu aufwendig ist. Also beschloss man, wenn wir den Pavillon schon nicht verpflanzen können, so können wir doch immerhin die Architekten nach München holen. Ich wurde eingeladen und im Entwurfsprozess entstand dann die Idee, die Kaskadentreppe von damals als Element des Entwurfs zu nutzen – und das ist nun die optische Verbindung zum Pavillon. Der Pavillon war ein offenes Gebäude ohne Fassade, das im Sommer temporär genutzt wurde – und die Kaskadentreppen wurden offiziell als Fluchtweg zugelassen. Das Gebäude in München hat fünf geschlossene Ebenen und einen ganz einfachen quadratischen Grundriss, das war auch schon im Masterplan so vorgesehen. Dem Auftraggeber gefiel die Idee mit der Treppe auch sehr. Es sollte etwas Auffallendes sein, was auch in gewisser Weise ein Wahrzeichen für das Werksviertel sein könnte.

Die Außenwirkung von „Werk 12“ ist ja sehr expressiv durch die Buchstaben – wie kam diese Idee zustande?

In einem Diagramm hatten wir die Ebenen schon in Buchstaben dargestellt – Club, Pool, Restaurant, Büro – und als Diagramm hatte das eine gewisse Attraktivität. Und so dachten wir, vielleicht müssen wir diese Buchstabenidee weiterverfolgen. Es stellte sich dann die große Frage, was erzählen die Buchstaben? Die Lösung war, einen Wettbewerb zu organisieren. Es stellte sich zudem die Frage, wie viele Buchstaben wir bezahlen könnten, da es sich ja um ziemlich große Elemente handelt. Es gab zehn Teilnehmer aus München und Umgebung. Zwei bildende Künstler haben den Wettbewerb gewonnen.

Das Gebäude ist auf Nutzungsflexibilität angelegt ...

Einer der Hauptgedanken war, unterschiedliche Nutzungen zu ermöglichen. Um es flexibel gestalten zu können, musste man etwas mehr Luft ins Gebäude bringen. Das Volumen war beschränkt – und so haben wir vorgeschlagen, ein Stockwerk herauszunehmen, die Etagen von sechs auf fünf zu reduzieren, um diese Mezzanin-Möglichkeit zu haben, zusätzliche Elemente einzufügen. Auch die Nutzung war nicht von vornherein so ganz fix. Klar war nur, dass im Erdgeschoss ein Restaurant und einige Cafés einziehen sollten. Und dann kam der Fitnessclub „body & soul“ und wollte wegen des tollen Standorts drei Stockwerke mieten und auch ein Schwimmbecken einbauen. Da wir ein Stockwerk rausgenommen hatten, war es statisch kein Problem. Der Pool ist mitten im Gebäude. Von dort aus hat man auch eine schöne Aussicht auf München.

Dasselbe Grundprinzip findet sich auch in Ihrem Kieler Projekt „KoolKiel“. Ist der Trend der Stunde bzw. für die Zukunft, so flexibel und so vielseitig verwendbar und umgestaltbar wie möglich zu bauen?

Das Thema „Open Building“ hat mich immer interessiert und es bedeutet auch eine sehr gute Möglichkeit, nachhaltig zu bauen. Auf diese Weise lässt sich die Hälfte des CO₂ im Vergleich zum konventionellen Bauen einsparen. So macht ein gutes Skelett, das flexibel ist, absolut Sinn. Diese Idee hatte schon Habraken, ein Professor aus den Niederlanden, der auch in Amerika tätig war. Das Open Building-Konzept kommt aus den 1960er/1970er-Jahren und ist jetzt wieder aktuell geworden. Man kann Projekte machen, die vielleicht etwas weniger expressiv, aber sehr nachhaltig in ihrer Grundhaltung sind. Auf dieser Ebene könnte man beide Projekte vergleichen.

In Hannover werden Sie Ihren eigenen ikonischen Pavillon umbauen. Was passiert da genau?

Wir haben eine Nachricht aus Hannover bekommen, dass es einen neuen Eigentümer gibt. Eine Wohnungsbaugesellschaft hat den Pavillon zusammen mit einem anderen Partner, der Studentenwohnungen realisieren möchte, gekauft. Wir hatten dann die Idee, das Grundstück teilweise mit Wohnungen zu bebauen, und damit – Pavillon + Wohnungsbau – rechnet sich das. Der Pavillon wird als Büro- oder Arbeitsgebäude umgebaut, für Coworking Spaces plus einer öffentlichen Dachterrasse. Der Hauptcharakter bleibt erhalten, aber das Projekt war nie als Innenraum gedacht. Nun brauchen wir Fassaden, aber die Waldebene bleibt geöffnet und die Idee bleibt sichtbar. Das war auch der Wunsch der Stadt Hannover, um eines der Wahrzeichen der Expo zu erhalten.

Wofür steht MVRDV – für Originalität, für ungewöhnliche Entwürfe und Lösungen – bzw. gibt es so etwas wie ein Credo des Büros? Zum Beispiel: „Du sollst nicht langweilen“?

Ja, man kann sagen, dass wir das Unerwartete sehr schätzen und das Langweilige nicht. Wir haben mehr Lust, Neues zu entdecken. Das kostet zwar mehr Energie und Mühe, aber es macht auch mehr Spaß, etwas zu realisieren, was wirklich anders ist. Es ist auch interessanter, in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Lösungen zu arbeiten. Für jeden Ort die beste und die neueste Lösung zu finden. Das kann etwas total Verrücktes sein, aber es könnte auch etwas sein, was auf den ersten Blick normal wirkt, aber auf den zweiten Blick etwas Neues ist. Es kann verschiedene Formen und Stile annehmen. Bei uns gibt es keinen festen Stil. Es gibt ja Architekten, wo man sofort sieht, ah ja, das ist von Soundso. Aber bei uns ist das nicht so ganz klar, weil wir keinen formalistischen Stil haben, der sich bei jedem Projekt wiederholt. Womit hatte MVRDV seinen Durchbruch? Der Pavillon war der internationale Durchbruch – wir hatten vorher schon in Holland einige Dinge realisiert. Wir hatten das Glück, dass in relativ kurzer Zeit fünf Projekte hintereinander gebaut wurden. Das war Ende der 1990er-Jahre und damit hatten wir schon viel erreicht. Es gab einen großen Artikel in El Croquis. Das Internet war noch nicht so groß und solche Artikel waren wichtig für die internationale Anerkennung. Das kam mehr oder weniger gleichzeitig mit dem Pavillon. Ab dann sind wir mehr im Ausland tätig geworden.

Das „Schubladenhaus“ war auch ein großes Highlight ...

Ja – in Amsterdam – es heißt Wozoko. Das war die Abkürzung für Wohnen – Sorge – Wohnkomplex. Es ging darum, dass Senioren in der Stadt bei bezahlbaren Mieten zusammenwohnen – das ist noch immer ein aktuelles Thema.

Was ist Ihr persönliches Highlight aus der gesamten Produktion von MVRDV?

Darauf kann man schwer antworten. Das ist, wie wenn man eine Familie fragt, welches das liebste Kind ist. Nein, jedes Mal, wenn ein neues Projekt realisiert und der ganze Prozess durchlaufen wird, ist eine aufregende Erfahrung – weiterzugehen, neue Erfahrungen zu machen, das hält uns aktiv. Natürlich hat man gute Erfahrungen und weniger gute und schwierige oder super-spektakuläre Momente. Das Expo-Projekt war natürlich so etwas, wo in sehr kurzer Zeit etwas Wahnsinniges entstanden ist. Das war natürlich viel Stress, das zu planen und zu realisieren – und das für ein superkurzes Leben von drei bis vier Monaten. Wir haben auch einige Projekte in Japan realisiert, die ganz besonders waren. Oder ein extrem schwieriges Riesenprojekt in Indien, das war auf eine komplett andere Art und Weise eine wichtige Erfahrung. Es handelte sich um ein Wohngebäude in Poonah in der Nähe von Mumbai – mit fast 1.000 Wohneinheiten in einem Gebäude!

In Japan realisierten wir ein kommerzielles Retail Gebäude, bei dem es, ähnlich wie beim Expo-Pavillon, Außentreppen gibt. Über kleinere Straßen gelangt man über die Treppen zur kollektiven Dachterrasse. Dort kann man essen und trinken und über die Stadt schauen. Wir wurden damals sehr gut angenommen in Japan. Die Leute waren extrem nett, natürlich gab es auch Probleme, aber die haben wir nicht so direkt erlebt. Alles war vorbereitet, um das beste Resultat zu erzielen. Die Verträge waren nicht 20 Seiten lang und wurden mit Anwälten fixiert, sondern es gab nur zwei Din A4-Blätter und alles lief eher auf Vertrauensbasis.

Die Markthalle in Rotterdam hat auch absolut das Potenzial für eine Ikone.

Das ist für uns auch ein wichtiges Projekt. Ähnlich wie bei der Expo wurde sehr viel darüber berichtet. Auch Nicht-Architekturliebhaber, jeder kennt das Projekt, es ist auf jeden Fall bekannter als unser Büro. Es ist kein Museum und keine Oper, es ist einfach ein Wohngebäude mit einer Markthalle und Restaurants, ein „Basic-Programm“ – auch mit diesen normalen Projekten kann man etwas Besonderes realisieren. Da hat die Stadt auch eine große Rolle gespielt, um das zu unterstützen.

Da sind wir hier in Deutschland nicht so experimentierfreudig wie in Ihrem Land.

Man sieht hier in Deutschland weniger die Möglichkeiten als die Probleme. Man muss natürlich auch die Möglichkeiten sehen und nicht direkt mit den Unmöglichkeiten anfangen. Man kann alles totreden, aber auch einfach sagen: Why not? – Warum sollte das nicht gehen? Mit dieser Haltung lässt sich auch etwas realisieren, was normalerweise unmöglich wäre. Das ist vielleicht unsere Rolle, etwas, was wir nach Deutschland mitbringen können.

Sie unterrichten an der TU in Berlin?

Mein Fachgebiet heißt Entwerfen und Gebäudekunde. Ich bin schon einige Jahre an der Uni – in München war ich als Gastprofessor und danach habe ich den Ruf nach Berlin bekommen. Meine eigenen Kinder studieren jetzt auch. Das ist ein trauriger Zustand, dass sie ihre Studentenzeit online absolvieren müssen. Aber wenn wir in einem Jahr zurückschauen, dann war das eine ganz besondere Erfahrung.

Wie muss man sich den Entwurfsprozess oder die Ideenentwicklung in Ihrem Büro vorstellen – tatsächlich als Teamwork der ursprünglichen Bürogründer oder ist das längst Vergangenheit?

Teamwork, das gebe ich auch den Studierenden mit, ist in der Architektur ganz wichtig. Ein Bauprojekt oder ein Entwurfsprojekt macht man oft mit mehreren Leuten, wobei der Architekt kein Regisseur ist wie beim Film oder ein Dirigent, der die Richtung angibt, Ideen bringt oder ein Feedback gibt. Wir haben im Büro so eine Art Sprache entwickelt, eine Arbeitsmethodik, als Entwurfshaltung, die wir dann an die Mitarbeiter weitergeben. Das Büro hat inzwischen 250 Mitarbeiter, das kann man nicht mehr zu dritt organisieren, und wir haben zusätzlich auch jüngere Partner. Die Gründungspartner sind bei jedem Projekt dabei. Zumindest einer von uns Dreien ist endverantwortlich. Insofern ist der Ursprung noch immer da. Wir haben ein Büro in Shanghai und in Paris und seit September in Berlin – da sind vier Leute tätig.
Kürzlich zeigte die Architekturgalerie Berlin eine Ausstellung über das deutsche „Gesamtwerk“ von MVRDV – da kam eine ganz Menge zusammen. „Haus Berlin“ nannte sich das Ganze – „in Berlin, wo alles begann …“
Ich glaube, das war 1991, also kurz nach der Wende. Damals sagten alle – in Berlin, da wird es passieren! Und wir sind nach Berlin gegangen und haben dort einen Vorschlag für ein Wohngebäude vorgestellt. Wir waren einer der Gewinner für die Bornholmer Straße und das war auch eines der ersten Projekte, die wir gemacht haben.

Da waren Sie schon in derselben Konstellation wie heute?

Ja. Es gab in den Niederlanden für Künstler und Architekten die Möglichkeit, eine Art Förderung zu bekommen, und dieses Projekt war dann die Basis für das Büro, für die Gründung. Wir haben ein Start-Stipendium bekommen. Das ist sehr lange her, bereits 28 Jahre.

Sie gelten aber immer noch als junges Büro – das ist doch erstaunlich, oder?

Ich denke es geht um die Spirits – man kann im Herzen jung bleiben.

Wenn Sie spekulieren – als was wird MVRDV in die Architekturgeschichte eingehen?

Ich hoffe, dass es zumindest einige Entdeckungen oder Ideen gibt, wo man sagt, das wurde das erste Mal realisiert. In der Architektur inspiriert man einander. Das ist eine Geschichte, die Jahrhunderte zurückgeht, wobei auch oft ein Copy-Paste-Prinzip angewandt wird. In diesem Prozess eine Rolle zu spielen, dass man eine Referenz wird, eine Inspiration zu sein für eine neue Generation – das ist schon toll.

Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche weiterhin viel Erfolg!

Herr van Rijs, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Christina Haberlik.


MVRDV

Die Buchstabenfolge MVRDV ist zunächst etwas schwierig zu verinnerlichen, mittlerweile hatten wir hierzulande aber 20 Jahre Zeit, um sie einzuüben. Das Kürzel steht für eines der renommiertesten, international agierenden Architekturbüros, das 1993 in Rotterdam gegründet wurde, und enthält die Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Gründungsmitglieder Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries (v. l.). 20 Jahre deshalb, weil das Gebäude der gestapelten Landschaften auf der Expo in Hannover 2000 ein architektonischer Paukenschlag war und so wie nahezu jedes weitere Werk mit einem Überraschungseffekt aufwartete – zuletzt in München mit dem „Werk 12“ (siehe Seite 32). 27 Jahre sind seit der Bürogründung vergangen, aber die Gebäude von MVRDV sind immer noch so jung wie eh und je.

(Erschienen in CUBE München 04|20)

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