Baustelle Ergebnisoffen
Der neue Hauptbahnhof und seine offenen Fragen
CUBE: Wie sehr sind Sie als Planer konfrontiert mit der Kritik um den neuen Hauptbahnhof? Es gibt Foren, Bürgerversammlungen, Kritik in der Presse...
Martin Klemp: Wir kriegen diese öffentlichen Termine nicht nur mit, sondern wir sind oft auch auf dem Podium vertreten. Wir fahren unsere Antennen aus und bekommen die Stimmung sehr genau mit. Dabei zeigt sich, dass das Thema viele interessiert. Die Stadt gehört allen, deswegen kann man da nicht machen, was man will. Deshalb wurde zunächst ein aufwändiges Wettbewerbsverfahren durchgeführt, in dem unser Entwurf ausgewählt wurde. Je konkreter es nun wird, desto größer wird das Interesse in der Stadt. Jetzt kommen wieder Fragen auf nach der Querverbindung der Gleise oder wie der zentrale Omnibusbahnhof besser angebunden werden kann. Wir können zunächst nur beraten, aber haben natürlich auch eine Meinung dazu. Gerade was die Verbindung zum Busbahnhof angeht, wäre es gut, wenn er fußläufig besser an den Hauptbahnhof angebunden wäre .
In welcher Phase steckt das Projekt im Moment?
Zur Zeit befassen wir uns mit dem Starnberger Flügelbahnhof, der auch Teil des Wettbewerbs war. Es konkretisiert sich, dass es hier einen Hochpunkt geben wird, auch um den Bahnhof als Landmarke und Stadtbaustein im Stadtbild sichtbar zu machen.
Wann sehen Sie realistisch die Fertigstellung des Bauvorhabens, die Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs?
Das lässt sich leider nicht mit einer Zahl beantworten. Es ist abhängig davon, wann die zweite S-Bahn-Stammstrecke gebaut wird. Die läuft ja genau in der Mittelachse des Bahnhofs in 40 m Tiefe, mit zwei Röhren und dem sogenannten „Nukleus“, der die S-Bahnsteige mit der Empfangshalle des Bahnhofs verbindet.
Es sind Gerüchte zu hören, dass die Baumaßnahme noch mehr Kosten verschlingt, als der ebenfalls umstrittene Umbau des Stuttgarter Bahnhofs.
Die Baumaßnahme hier ist einfacher als dort. Was kompliziert ist, ist die Verquickung von zwei Großprojekten. Aber wir haben auch eine gute Planungssicherheit, sodass ich nicht glaube, dass es beim Hauptbahnhof zu einem finanziellen Desaster kommt.
Können Sie sagen, wie hoch das Projekt veranschlagt ist?
Es ist ein hoher dreistelliger Millionenbetrag. Wie viel genau hängt auch davon ab, wann tatsächlich angefangen wird. Man geht davon aus, dass die Baupreise steigen. Wir sind jetzt seit zehn Jahren dabei – wenn mich vor zehn Jahren jemand gefragt hätte, dann wäre der Bau, auch ohne dass wir was verändert hätten, jetzt schon teurer. Was man vielleicht dazu sagen muss: Es ist die Bahn, die Geld aufbringt.
Die Stadt hat gar nichts damit zu tun?
Die Stadt hat insofern damit zu tun, als wir im Auftrag der Stadt das Umfeld beplanen, also die Vorplätze. Die Stadt hat natürlich auch die Genehmigungshoheit für den Bereich Starnberger Flügelbahnhof, da wird es einen Bebauungsplan geben. Das Empfangsgebäude ist komplett auf Bahngrund, da ist das Eisenbahnbundesamt die genehmigende Behörde, aber die Stadt spricht natürlich mit. Das Projekt war letztes Jahr im Stadtrat, wo wir ein sehr positives Feedback bekommen haben, zudem waren wir im Februar in der Stadtgestaltungskommission – so ist die Stadt natürlich immer involviert.
Was macht den neuen Bahnhof notwendig?
Da gibt es mehrere Gründe. Der Bahnhof, wie er sich jetzt zeigt, ist größtenteils kurz nach dem Krieg gebaut worden, mit den Mitteln der damaligen Zeit, in der es darum ging, möglichst schnell wieder einen funktionierenden Bahnhof zu haben. Dieser Zustand hat ziemlich lang gehalten, hält auch jetzt im Moment und würde wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre so halten. Der neue Bahnhof ist aber erforderlich, um als Verkehrsbauwerk zukunftsfähig zu bleiben. Wir haben 350.000 Reisende, die täglich den Bahnhof queren. Es gibt Prognosen, dass es in Zukunft eher 450.000 werden. Dann kommt das jetzige Gebäude tatsächlich an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.
Was genau ändert sich?
Die Empfangshalle wird größer. Es wird alles weiter, lichter, und es wird übersichtlicher, die Wegeführung wird an das Personenaufkommen angepasst. Der jetzige Bahnhof bietet nicht das, was man sich unter einer schönen Situation des Ankommens vorstellt. Wir sehen ein „Stadtfoyer“ vor, über das man von der denkmalgeschützten Gleishalle auf den Vorplatz kommt und von dort in die Innenstadt oder direkt zum Museumsquartier. Das neue Empfangsgebäude wird eine gewisse Strahlkraft für das Quartier haben und nach meinem Dafürhalten das ganze Bahnhofsviertel aufwerten. Die Büroflächen werden einen Beitrag dazu leisten, Arbeitsplätze in der Stadt zu halten, um nicht noch mehr Landschaft in der Peripherie zu verbauen.
Warum kann es keine Querverbindung auf Höhe der beiden Flügelbahnhöfe geben?
Es gab dazu in der Vergangenheit schon Überlegungen, sowohl zu einer Tunnellösung, als auch zu einer Brücke innerhalb der Gleishalle jeweils vom Gleis 11 bis zum Gleis 26. Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Die Bahn hat diese Überlegungen wieder aufgenommen und wird die Machbarkeit untersuchen.
Welche Fläche, Höhe und wie viele Geschosse sind das?
Das Empfangsgebäude hat 113.000 m2 Bruttogrundfläche. Es hat fünf Geschosse, das Erdgeschoss und vier Obergeschosse, und darüber das Dach mit zwei Büroebenen. Das kann man am Modell, das in der Gleishalle steht, sehen. Der Neubau wird sich auch auf den Bereich des Starnberger Flügelbahnhofs erstrecken, wo der Hochpunkt stehen soll.
Wozu dieses riesige Volumen an Räumen?
In München sind wir in der glücklichen Situation, dass die Stadt sehr stark nachgefragt ist, nicht nur von Menschen, die hier gerne wohnen, sondern auch von Menschen, die hier gerne arbeiten möchten. Dafür sind zentrale Büroflächen interessant, weil sie eben sehr attraktiv mitten in der Stadt liegen. Von daher mache ich mir da keine Sorgen, dass an der Stelle ein Bürostandort nicht funktionieren könnte.
Und warum regt sich die Volksseele da so?
Sobald es profilüberragend wird, haben wir diese Diskussion. Städtebaulich ist der Bahnhof ein Anfang oder Endpunkt, je nachdem, von wo man schaut, entlang der Kette von Hochbauten, die es jetzt schon am Arnulfpark gibt, an dessen Ende beziehungsweise Anfang der Hochpunkt steht – als Kontrast sozusagen zur nicht profilüberragenden flachen Struktur des Empfangsgebäudes. Der Turm wird 75 m hoch und trägt so zur Orientierung bei. Er ist deutlich unter der Höhe der Frauenkirche und außerhalb der Altstadt. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Stadt, eine Stadtbildverträglichkeitsanalyse erstellen lassen. Das Planungsreferat hat Standpunkte vorgegeben, Maximilianeum, Bavaria usw. von wo aus auf den Bahnhof geschaut wird, um zu sehen, wie sich der Hochpunkt im Zusammenspiel mit den anderen Hochpunkten, ins Stadtbild einfügt.
Wird das ein gläserner Turm?
An der Fassade arbeiten wir noch. Jeder möchte gern einen hellen Arbeitsplatz haben, insofern ist Glas ein Thema, was aber auch immer etwas überbewertet wird, weil man allein aufgrund der Vorschriften hinsichtlich des sommerlichen Wärmeschutzes, also was das Einsparen von Kühl-Energie angeht, mittlerweile relativ eingeschränkt ist. Da wir Empfangsgebäude und Starnberger Bahnhof als Gesamtes sehen, wird es eine Ähnlichkeit in der Materialität geben. Und das Bahnhofsgebäude wird nicht komplett gläsern werden – in den Unterbauten mehr, im Überbau weniger. Der wird seitlich eher geschlossen sein, als Kontrast zu den gläsernen Flächen darunter und nur zum Vorplatz ein großes „Schaufenster“ haben.
Was geschieht, wenn es keine zweite Stammstrecke gibt?
Da zitiere ich den Vorstand der Bahn: Dann wird der Bahnhof trotzdem gebaut. Ich gehe davon aus, dass die zweite Stammstrecke kommt, aber wichtig ist, dass diese Entscheidung gefällt wird, denn vorher kann man nicht anfangen zu bauen. Wenn dagegen entschieden wird, würde der Nukleus natürlich wegfallen. Das macht es dann rein bautechnisch gesprochen einfacher. Aber wenn die erste Stammstrecke eine Störung hat und gesperrt ist, bedeutet das gleich den Infarkt.
A propos Verkehrsinfarkt – was passiert, wenn die Straßen um den Bahnhof teilweise verkehrsberuhigt werden?
Auf dem Vorplatz wird es mehr Platz für Fußgänger und Fahrräder geben und ein drittes Gleis für die Tram. Die Frage zielt ja mehr auf den Autoverkehr. Dafür kommen Taxistellflächen, Parkplätze, „Kiss and Ride“ im Norden und im Süden, von wo aus man direkt auf den Querbahnsteig und zu den Gleisen kommt. Die Stadt hat einen unabhängigen Verkehrsgutachter beauftragt, um genau diesen Fall zu untersuchen. Es wird eine Verkehrsverstärkung in der Paul-Heyse-Unterführung geben und auch am Stachus, aber es wird alles funktionieren. Zum Bahnhof kommt man natürlich genauso wie jetzt auch, sogar noch besser, weil es Tiefgaragenstellplätze geben wird, was bisher nicht der Fall ist.
Und im Innern? Wird es ein Einkaufsbahnhof werden?
Wir haben natürlich Handel und Gastronomie in den Erdgeschossen, also sowohl im Starnberger als auch im Empfangsgebäude und teilweise noch im 1. OG auf einer Galerieebene. Sonst gibt es keinen Handel. Der Rest sind überwiegend Büroflächen und natürlich Flächen für die klassischen Bahnhofsnutzungen wie Reisezentrum, Aufenthaltsräume, DB-Betriebsräume. Vor den Fassaden wird es mehr Freiraum geben, so dass sich auf dem Vorplatz Gastronomie ansiedeln kann, um diesen Platz zu beleben und Aufenthaltsqualität zu schaffen.
Herr Klemp, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Christina Haberlik.
Vita Martin Klemp
Martin Klemp wurde 1966 in Hildesheim geboren. Zunächst absolvierte er eine Zimmermannslehre, bevor er 1990 sein Architekturstudium an der Universität Stuttgart begann. Von 1993 - 94 hatte er ein Stipendium am Illinois Institute of Technology in Chicago. Noch während des Studiums erwarb er sich praktische Kenntnisse im Büro von Behnisch & Partner in Stuttgart. Nach dem Diplom 1996 folgte eine vierjährige Anstellung bei Schürmann und Schürmann. Seit 2000 areitet er bei Auer und Weber, seit 2003 ist er Assoziierter.
Münchner Projekte, die unter seiner Federführung realisiert wurden und werden, sind der Zentrale Omnibusbahnhof, die Modernisierung des Sperrengeschosses des U-Bahn-Hauptbahnhofs und seit Planungsbeginn der neue Hauptbahnhof.