Zeit für Abstraktion und Veränderung
Im Interview: Professor Tanja Kullack
Das Büro zweikant aus Köln beschäftigt sich mit Architektur, Kommunikationsarchitektur und Innenarchitektur. Die Stärken des Büros liegen in der experimentellen Planung und der Transformation in atmosphärische Räume. Ein Gespräch mit Tanja Kullack.
CUBE: Frau Kullack, Ihr Büro ist kein klassisches Architekturbüro. Können Sie das etwas deutlicher erklären? Welche Ziele verfolgen Sie? Welche Prioritäten haben Sie?
Tanja Kullack: Unsere Projekte sind sehr stark auf den Prozess bezogen und lassen insofern auch noch Entwicklungen und Ideen in der Planungs- und Bauphase zu. Für unsere Arbeit ist es sehr wichtig, ein persönliches Verhältnis zum Bauherrn zu schaffen. In jedem Projekt sind wir von der Konzeption bis zur Realisierung selber beteiligt. Dabei haben wir nicht immer sofort alle Lösungsvorschläge bereit liegen. Wir laden zum Mitmachen, Hinterfragen und Experimentieren ein – bei gleichzeitiger gründlich durchdringender Umsetzungskontrolle.
Ihre Tätigkeiten reichen von Ausstellungs- und Markenarchitekturen über temporäre Bauten bis hin zu Wohn- und Geschäftshäusern. Innerhalb dieses architektonischen Schaffens ist die Kommunikationsarchitektur das verbindende Element. Für Sie ein Selbstverständnis. Was hat es damit auf sich?
Wir verstehen uns als Vermittler, der die Vorstellungen, die Werte und die Persönlichkeiten unserer Kunden in atmosphärische Räume umsetzt. Ein Beispiel: Wir bauen gerade eine denkmalgeschützte Villa aus den 30er Jahren um. Das Erste ist, dem Bauherrn zu zuhören, um genau herauszubekommen, wie er mit seiner Familie lebt, was sie tun, wie ihr Tagesablauf ist, was sie sehen möchten, wenn sie aufwachen, wo sie abends sitzen und lesen, wo und wie die Rituale des Alltäglichen stattfinden. Und anhand dessen versuche ich, das Haus wie eine Dramaturgie zu sehen. Ich versuche, mir unterschiedliche Szenarien vorzustellen: man kommt von der Arbeit nach Hause, was tut man als erstes, man kommt vom Joggen, was tut man dann usw. Mit den Erkenntnissen schauen wir dann, wie wir diese persönlichen Abläufe ein stückweit pointieren, ja stark machen können, damit das Leben der Familie in ihrem Haus funktioniert.
Der private Bauherr muss sich natürlich auch darauf einlassen.
Die Gespräche mit Bauherren sind intensiv und sehr umfassend. Unsere Fragen sind unter Umständen unerwartet, überraschend. Sie können Dinge zu Tage fördern, die wichtig sind, über die aber noch nie wirklich nachgedacht wurde. Die Frage, was man sehen möchte, wenn man die Augen aufschlägt wird eben oft vom Alltäglichen überdeckt. Wenn der Bauherr, die Bauherrin mit der Familie anfängt darüber nachzudenken, fällt ihnen dazu etwas ein. Entweder was sie schon haben oder hatten oder gerne hätten. Damit ist es aber nicht abgeschlossen. Manchmal ist man ja an die zwei Jahre mit einem privaten Bauherrn „vereint“. In dieser Zeit findet eine ständige Interaktion mit zunehmendem Vertrauensverhältnis statt. Man lernt sich sehr gut kennen, auch in Krisensituationen. Und dann ist die Kunst dabei, dass wir neben der Vertrauensbasis das Professionelle nicht verlieren.
Ein privater Bauherr auf der einen Seite, ein Unternehmen auf der anderen Seite. Schlussendlich möchte jeder richtig verstanden werden.
Richtig, die Prozesse sind absolut vergleichbar. Unternehmen mögen da vielleicht in ihren Geschäftsberichten und medialen Äußerungen ein anderes Vokabular benutzen. Schlussendlich sind es aber auch immer Werte, Ziele, die wir in Atmosphären umzubauen versuchen. Ich sage nicht, dass muss man so oder so machen, sondern ich transformiere das, was Unternehmen glauben, was für ihre Kunden wichtig ist. Wir haben das Glück, dass wir einige Unternehmen bei ihren Messeauftritten schon seit mehr als 10 Jahren betreuen dürfen. Man kennt sich so gut, dass man die Sprache des anderen fast so gut spricht wie seine eigene. Auch hier sind wir natürlich durch Krisen gegangen, oft aufgrund eines extremen Zeitdrucks. Letztendlich ist es ein intensiver gemeinsamer Prozess, den wir nur mit gegenseitigem Vertrauen und Respekt durchschreiten konnten.
Sie reden sehr viel mit Ihren Kunden. Wie finden Sie die richtige Dosierung?
Wir reden tatsächlich viel. Unsere Grundlagenermittlung ist auf das gesprochene und geschriebene Wort gestützt, das wir dann analysieren. Wir bauen Modelle, wir visualisieren. In unserer Branche kommuniziert man zu 90% über „fotorealistische“ Visualisierungen, die besser oder schlechter sind und eine scheinbare Wahrheit implizieren. Wir versuchen in unserem Büro abstraktere Wege zu gehen, eine Kombination aus Wort und Material, damit wir noch Gedankenspiele zulassen können. Wir erarbeiten das ein stückweit mit dem Bauherrn zusammen, damit er auch sieht, wie ein Raum aussehen kann und wie er sich darin fühlt. Schlussendlich berührt mich ein Raum nicht intellektuell, sondern emotional.
Und das kann eine Visualisierung nicht leisten?
Meiner Meinung nach nicht allumfassend. Es führt dazu, dass bei den Kunden, aber auch bei den Architekten, schon in der frühen Planungsphase jegliche Kreativität für die weiteren Planungsphasen herausgenommen wird, weil man damit beschäftig ist, das in der Visualisierung produzierte „Image“ architektonisch umzusetzen. Es wird nicht mehr reflektiert, ob das überhaupt richtig ist. Weil man keine Imagination mehr offen gelassen hat für Dinge, die im Prozess geschehen. Und auch geschehen müssen. Meinungen ändern sich, Entwicklungen finden statt, Ideen kommen hinzu, neue Personen kommen zum Team. Es ist überhaupt kein Raum mehr dafür da, weil dieses „Image“ schon in der zweiten Woche vorgelegt wurde.
Sehen Sie die Notwendigkeit, die Architektur als Disziplin zu hinterfragen und neu zu positionieren?
Die Architektur ist in einem kritischen Moment. Es ist zu beobachten, dass Architektur oft zu einem Marketinginstrument wird, das die Architektur nochmal in eine ganz andere Ecke der Dienstleistung gedrängt wird. Zum einen hat es gewiss die Aufmerksamkeit erhöht, zum anderen war es für die Branche ganz schlecht, weil Marketing eine ganz andere Zielsetzung hat als Architektur. Das andere Thema ist unsere Architektenausbildung, die zu überdenken ist. Da sind wir als Hochschulen nicht unschuldig an diesem Thema. Amerikanische Hochschulen sind da schon ein Stück weiter, die versuchen, Architekten mit sehr viel mehr unternehmerischem Denken auszubilden. Und das ist auch notwendig. Ich glaube, wenn die Architektur als Disziplin überleben will, muss sie sich neu positionieren und das heißt auch, anders arbeiten, anders kommunizieren. Die neuen erfolgreichen jungen Büros funktionieren schon anders. Sie kollaborieren zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Planung mit sehr viel mehr Projektpartnern anderer Disziplinen. Dabei nehmen sie zwangsläufig Dinge nicht als gegeben hin, da ihr Umfeld in ständiger Bewegung und Veränderung ist.
Sie sind selber seit 2003 Professorin an der PBSA für Kommunikationsarchitektur und Architektur mit dem Schwerpunkt Entwurf und Raumtheorie. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis? Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch?
In beiden Bereichen zu arbeiten, bedingt einander. Ich brauche dieses Mäandern zwischen der Theorie und der Praxis. Das intensive Hinterfragen und Analysieren in der Theorie aber auch in der Wirklichkeit ist die Grundlage für nachhaltige, qualitative und ästhetische reale Projekte. Die Studenten können mit ihrem erlernten Wissen eine eigene Kreativität und Wahrnehmung entwickeln, die sie in konkrete Projekte einbringen, mit denen wir uns auch in unserem Büro beschäftigen.
Inwieweit verstehen Sie sich auch als gesellschaftlicher Akteur?
Bauen ist ohne die Betrachtung und Beurteilung der Gesellschaft nicht denkbar. Wir, Architekten und Bauherren, sollten uns viel mehr damit auseinandersetzen, wie Gesellschaft funktioniert, wie Gesellschaft um uns funktioniert, wie Gesellschaft in sogenannten Schwellenländern funktioniert, was unser Beitrag sein kann. Einige machen das, aber noch nicht die breite Basis. Dabei werden unsere Projekte tagtäglich von soziologischen, stadtplanerischen, politischen Strömungen umgeben, die uns immer wieder auffordern, darüber nachzudenken. Den Status quo zu hinterfragen, Sichtweisen zu diskutieren, Veränderungen zu zulassen und Räume in ihren Kontext zu stellen, ist für uns entscheidend.
Frau Kullack, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Elena Berkenkemper.
Prof. Tanja Kullack
Architektin / Autorin, Lehrgebiet Architektur / Innenarchitektur, Peter Behrens School of Architecture
Lehre / Forschung: Kommunikationsarchitektur und Architektur mit dem Schwerpunkt Entwurf und Raumtheorie, insbesondere unter Berücksichtigung der Relevanz geschlechterspezifischer gesellschaftlicher Konstruktionen und Zuschreibungen in Bezug auf die Wahrnehmung, Nutzung und Gestaltung von Raum.
Berufspolitische Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation von Frauen in der Profession.
Professionelle Praxis: Kommunikationsarchitektur (Ausstellungen, Messen, Markenarchitektur); Environmental Design (Orientierungssysteme, Stadtmobiliar, temporäre Bauten); öffentliche, institutionelle Bauten; Wohn-, Hospitality- und Gewerbebauten. Hochschulpolitisch: Gender-Diversity-Beauftragte FH Düsseldorf.