Architektur
Artikel
Kategorie
Sie können noch Themenbereiche dazu wählen
Themen
Interior
Artikel
Kategorie
Sie können noch Themenbereiche dazu wählen
Themen
Garten
Artikel
Themen
Kategorie
Sie können noch Themenbereiche dazu wählen
Spezial
Artikel
Kategorie
Sie können noch Themenbereiche dazu wählen

Zeichner, Architekt, Weltbürger

Von der Seele der Städte

Zeichner, Architekt, Weltbürger
Sergei Tchoban
Zeichner, Architekt, Weltbürger
Museum für Architekturzeichnung, Berlin-Mitte 2013
Zeichner, Architekt, Weltbürger
Bürogebäude Ferrum 1, Sankt Petersburg 2021
Zeichner, Architekt, Weltbürger
Hotel- und Bürogebäude am Stralauer Platz, Berlin 2021
CUBE: Herr Tchoban, Sie sind 1962 in Leningrad (von 1703 bis 1924 und seit 1991 wieder Sankt... mehr
CUBE: Herr Tchoban, Sie sind 1962 in Leningrad (von 1703 bis 1924 und seit 1991 wieder Sankt Petersburg) geboren, haben dort studiert und als Architekt gearbeitet. Sie wurden also in der Sowjetunion sozialisiert, entstammen einer jüdischen Familie von Wissenschaftlern und sind in einer Stadt aufgewachsen, die als eines der bedeutendsten kulturellen Zentren Europas über Jahrhunderte Intellektuelle, Literaten und Künstler angezogen hat, die ganze Prachtentfaltung der Zarenzeit zeigt, mit der Eremitage eines der ältesten und größten Kunstmuseen der Welt besitzt und deren Innenstadt mit rund 2.400 vor allem westlich geprägten, klassizistischen Gebäuden seit 1991 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Eine interessante Gemengelage! Wie haben diese Zeitläufte Sie als Mensch und als Architekt geprägt?

Sergei Tchoban: Ich war und bin von der Stadt Sankt Petersburg und deren Architektur sehr geprägt. Das Denken im Sinne eines regulierbaren Stadtbildes, einer Bildung von städtebaulichen Ensembles, also wenigen Dominanten, sprich herausragenden ikonischen Bauten an ausgewählten Stellen und im Verhältnis dazu ein großer Anteil von nicht minder wichtigen, aber bescheideneren Hintergrundbebauungen, war und ist ein grundsätzliches Anliegen für mich und zentral für mein architektonisches Schaffen. Die Wurzeln hierfür liegen in meiner Geburtsstadt. Auch die essenzielle Rolle von Fassaden, deren Tiefe und Materialität wurde mir anhand von Sankt Peterburger Gebäuden bewusst. Ebenso bedeutend war für mich aber auch das Studium am Fachbereich Architektur der Russischen Akademie der Künste, insbesondere das Lernen des Zeichnens als wichtiges Kommunikationsmittel des Architekten.

1991 sind Sie nach Deutschland gekommen und sind 1992 beim traditionsreichen Hamburger Büro Nietz Prasch Sigl als Architekt angestellt worden. Warum Deutschland, warum Hamburg?

1991 hatte ich die Möglichkeit, meine russischen Projekte in der Ausstellung „Architekturdarstellung und Architekturvisionen“ in der Aula der Fachhochschule Hamburg zu präsentieren. Begleitet wurde die Veranstaltung vom Bund Deutscher Architekten. Dank des Architekten Steffen Adam, damals Student an der Fachhochschule, Herrn Professor Gutdeutsch, Volker Roscher vom BDA Hamburg, aber auch Dank Wolfgang Nietz, einer der drei Partner von NPS Nietz – Prasch – Sigl Architekten, habe ich Hamburg und auch das Architekturbüro kennenlernen können, in dem ich dann später angefangen habe zu arbeiten. Hamburg und Sankt Petersburg verbindet eine Städtepartnerschaft. Ich fand Hamburg faszinierend und die Architekturszene sehr interessant. In Sankt Petersburg war es zu den Zeiten der Perestroika kaum möglich, sich als junger Architekt weiter zu entwickeln. Deswegen habe ich mich entschlossen, nach Hamburg überzusiedeln und 1992 dann bei NPS angefangen. Eine Entscheidung, über die ich heute noch sehr glücklich bin.

Schon drei Jahre später wurden Sie Partner bei NPS, zusammen mit Ekkehard Voss. Seit 2015 leiten Sie beide das Gesamtunternehmen, das seit 2017 unter Tchoban Voss Architekten firmiert. Sie leiten die Berliner Dependance des Büros, sind seit 2006 Partner im Moskauer Büro Speech, das auch die gleichnamige Architekturzeitschrift herausgibt. Sie haben mit beiden Büros zahllose Bauten in Deutschland und Russland realisiert. 2009 gründeten Sie die Tchoban Foundation, die sich ganz der Architekturzeichnung widmet – mit Ihren eigenen Werken und Ihrer Sammlung als Grundstock. Aus ihr ging 2013 das von Ihnen entworfene Museum für Architekturzeichnungen in Berlin hervor. Darüber hinaus haben Sie Lehraufträge, sind in Gestaltungsbeiräten und Jurys tätig, engagieren sich in der Förderung junger russischer Architekten, kuratieren Ausstellungen. Allein diese Aufzählung macht atemlos, wann schlafen Sie eigentlich?

Im Büro NPS habe ich die Partner Wolfgang Nietz, Alf Prasch und Peter Sigl als wichtige Kollegen, Freunde und Förderer kennengelernt. Es war eine besonders intensive und prägende Zeit für mich. In guter Erinnerung ist die Zusammenarbeit im Team an sehr interessanten Projekten in Hamburg, Dresden, Berlin, Leipzig, Görlitz und anderen Städten. Ekkehard Voss traf ich am Abend seiner Ankunft in Hamburg das erste Mal. Wir haben uns gleich angefreundet. Die Hilfe und Unterstützung dieser Menschen haben mich beruflich weitergebracht. Ich freue mich sehr, dass mir meine Arbeit nach wie vor großen Spaß macht, dass ich das Zeichnen als meine Sprache in vielen Bereichen einsetzen kann. Ich verstehe den Beruf des Architekten als ganzheitliche Aufgabe. Dieses Verständnis entfaltet sich in all den von Ihnen genannten Bereichen. Das ist mir einfach wichtig.

Sie leben und arbeiten in Deutschland und Russland. Erleben Sie diese zwei Welten als Gegensatz oder als Ergänzung? Gibt es grundlegende Unterschiede in der Arbeit als Architekt in diesen beiden Ländern? Gibt es eine jeweils spezifische Architektur oder woraus leiten Sie den Entwurf ab?

Für mich sind vor allem die Städte wichtig, in denen ich entwerfe. Jede Stadt ist ein lebendiger Organismus, den ich als ganzheitliches ästhetisches und ökologisches System verstehen, erleben und spüren möchte. Es ist kein Zufall, dass ich viel für Berlin, Sankt Petersburg und Moskau entwerfe. Ich denke – oder besser – ich hoffe, die Seelen dieser Städte spüren und verstehen zu können. Das will ich jedenfalls. Ich möchte beobachten können, wie die Gebäude, an denen ich gearbeitet habe, altern – und verstehen, wie sie altern. Ich möchte daraus und auch aus den eventuell sichtbar gewordenen Fehlern lernen. Es ist immer ein Prozess. Eines jedenfalls ist überall ähnlich: Bauherrinnen und Bauherren, die Politik, aber auch die Bürgerinnen und Bürger müssen von der architektonischen Haltung und Idee sowie deren Beständigkeit überzeugt werden.

Herr Tchoban, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Bettina Schön.

Sergei Tchoban ist ein international tätiger deutsch-russischer Architekt. 1962 in Sankt Petersburg geboren, Studium an der dortigen Akademie der Künste und Tätigkeit als Architekt in Russland. 1992 Angestellter bei NPS Nietz – Prasch – Sigl in Hamburg, seit 1995 geschäftsführender Partner. Das Büro mit Standorten in Hamburg, Berlin, Dresden firmiert seit 2017 als Tchoban Voss Architekten. Tchoban führt seit 2006 das Architekturbüro Speech in Moskau. 2009 Gründung der Tchoban Foundation, aus der 2013 das Museum für Architekturzeichnung hervorging. Tchoban kuratierte zweimal den Russischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig sowie auf der EXPO in Mailand und Dubai. Seit 2013 ist er Mitglied des Gestaltungsbeirates der Stadt Moskau. Tchoban ist seit 1992 Mitglied der American Society of Architectural Illustrators (ASAI) und war 2020 ihr Präsident. 2018 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem European Prize for Architecture des Chicago Athenaeum Museum of Architecture and Design ausgezeichnet.

(Erschienen in CUBE Hamburg 04|21)

NEUES AUS DEN
CUBE-REGIONEN
Wir informieren Sie regelmäßig über interessante Projekte aus neun Metropolregionen
(Sie bekommen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink)