Familienleben – neu interpretiert
Ein erstaunlich anderes Wohnhaus
In einer Bauzeit von nur vier Monaten ist dieses 130 m² große Einfamilienhaus im Norden von Hamburg entstanden, das in seiner weißen, kubischen Bauweise eher an die modernen Strandvillen in den Hamptons erinnert als an das, was es ist: Ein vorgefertigtes und kostengünstiges Niedrigenergiehaus, das eine junge Familie 2006 in Auftrag gegeben hatte. Sie wünschte sich in erster Linie ein Haus, in dem sich jeder zurückziehen kann und in dem trotzdem die Familiengemeinschaft zu spüren ist. Im Jahre 2007 von dem in London und Hamburg tätigen Architektenteam Kraus Schönberg fertiggestellt zeigt sich das Haus W als eine Art räumliche Neuinterpretation des Familienlebens. Die offene Raumorganisation lässt sowohl Privatheit als auch ein gemeinschaftliches Erleben des Hauses zu. Der Raumfluss ist so intim wie nötig und dabei gleichzeitig so offen wie möglich.
Das Haus ist in einen oberen und unteren Bereich unterteilt. Die oberen Räume sind nach individuellen Funktionen in verschiedenen Höhen ausgebildet. Elternschlafzimmer, Bäder, Ankleide, Kinderzimmer und Treppe benötigen unterschiedliche Raumhöhen und projizieren von einer gemeinsamen Dachkante in den unteren Wohnbereich hinein. Der darunterliegende Gemeinschaftsraum wird durch diese Höhenstaffelung gegliedert, ohne durch Trennwände unterteilt zu sein. Das Untergeschoss ist so ins Gelände eingeschnitten, dass man sitzend durch die holzgeschalten Betonwände Geborgenheit erfährt, oder stehend Sichtbezüge in den Garten hinein hat. Dieser Gemeinschaftsbereich bietet dem Nutzer Einblick in die Zusammenhänge des Gebäudes. Aus nahezu allen Räumen kann man nach innen wie nach draußen durch große und kleine Fenster in die Natur oder ins Atrium schauen, in dem sich eine großartige Bücherwand über eine Höhe von 6 m erstreckt. Das gesamte Familienleben findet auf mehreren Ebenen statt, die durch viele Sichtachsen miteinander verbunden sind. Ein ungewöhnlicher Kunstgriff, der sogar einen Blick aus der Dusche in die Küche zulässt.
Die Räume des oberen Stockwerkes sind sowohl zum Garten als auch zum zentralen Atrium orientiert. Die dadurch entstehende Offenheit erlaubt den Nutzern, Räume und Funktionen unterschiedlich zu kombinieren. Auch der Rückzug von der Familie ist möglich.
Alle Wände und Decken des Obergeschosses sind aus vorgefertigten Massivholzplatten konstruiert. Das Tragwerk und die Oberfläche des verwendeten Materials Holz verbinden das Gebäude zu einem umhüllenden Körper. Das Raumerlebnis ist dabei unmittelbar mit der Konstruktion, dem Tragwerk, verbunden. Es wird aus ihm generiert, wobei das Tragwerk als Gesamtsystem betrachtet worden ist. Nicht nur in metaphorischer Hinsicht (ein Zimmer stützt das andere), sondern auch technisch wirkt das Tragwerk als ein System, bei dem sich Einzelelemente gegenseitig stützen. Die fabrikseitige Vorfertigung der Einzelelemente war Voraussetzung für eine effiziente und kostengünstige Lösung. Über einbetonierten Rundstützen im unteren Geschoss ruht das Holztragwerk aus kreuzweise verleimten Fichtenholzplatten. Der obere Körper ist über die verschiedenen Ebenen der Individualräume mit dem offenen unteren Raum verzahnt. Die Oberflächen aller Wände und Decken blieben unverkleidet und sind lediglich weiß gestrichen worden, so dass sie in ihrer Materialität zur haptischen Atmosphäre des Hauses beitragen können. Die Holzplatten tragen also sowohl in technischer Hinsicht (Tragwerk, Konstruktion, Isolierung), als auch in atmosphärischer Hinsicht (Oberflächen, Raumklima, Geruch, manchmal Geräusche) zum Gesamteindruck des Hauses bei.
Die Tragkonstruktion des Hauses Wachsmuth besteht aus Wandscheiben mit direkten und indirekten Auflagern. Die Hauptwandscheiben spannen quer durch das gesamte Gebäude und lasten Ihre Auflagerkräfte in sehr schlanke Stahlstützen ab, welche nur an den Außenseiten des Gebäudes angeordnet sind. Somit ergibt sich ein stützenfreies Raumerlebnis im Untergeschoss. Um diese Spannweiten realisieren zu können, wurde Kreuzlagenholz verwendet. Lasten können nicht nur, wie beispielsweise bei Stützen oder Balken, in eine Richtung, sondern allseitig abgetragen werden. Für die genaue Berechnung der Wände als Wandscheiben wurde ein 3d FEM System unter Berücksichtigung der Längs- und Querträger angenommen.
Um die großen lokal auftretenden Auflagerdrücke in die Stahlstützen einzuleiten, wurden Stahllamellen in die Massivholzplatten einlaminiert. Die Verbindungen der Wandscheiben untereinander erfolgten mittels Schrauben, bzw. innovativer Klebetechnik. Holz aus zertifizierter Quelle wurde in kürzester Bauzeit verwendet. Die vorgefertigten Holzplatten, die vollständig recycelt werden können, helfen, das Haus zusätzlich zu isolieren, und schaffen ein gesundes Raumklima. Die Orientierung der Fensterflächen nach Süd-West unterstützt den passiven Energiegewinn und mindert Strom und Heizverbrauch. Zudem wird das Niedrigenergiehaus mittels Geothermie beheizt.
www.kraus-schoenberg.com
Architekt:
Kraus Schönberg Architekten
www.kraus-schoenberg.com
Badeinrichtung, Sanitärkeramik, Armaturen:
Steinberg
www.hansgrohe.de
Küche:
Bulthaup
www.bulthaup.de
Regale und Einbauschränke:
Kraus Schönberg Architekten
Küchentisch + Stühle:
Silvio Rohrmoser
www.silviorohrmoser.de
Esstisch + Stühle:
Jean Nouvel
www.jeannouvel.fr
Fotos:
Ioana Marinescu
www.ioanamarinescu.com
Hagen Stier
hagenstier.polychroma.de