Jenseits kühler Effizienz
Ein Mehrfamilienhaus zeigt, wie städtisches Wohnen heute gestaltet werden kann
Das Mehrfamilienhaus Lindenstraße 29-31 auf dem ehemaligen Grundstück des Suhrkamp-Sitzes im Westend wurde als konventioneller Bautyp eines Stadthauses konzipiert. Das Gebäude von Karl Richter Architekten greift mit seinen erkerartigen Vorbauten, die optisch durch Loggien und Balkone verbunden sind, Motive von Bauten der vorletzten Jahrhundertwende im Frankfurter Westend, aber auch der klassischen Moderne auf und interpretiert sie neu.
„Der Entwurf für das Stadthaus mit zwanzig Wohnungen des gehobenen Segments kehrt sich ab von dem Drang nach immer effizienteren Wohnungsgrundrissen mit genau definierten Tätigkeitsflächen in spezialisierten Raumzuschnitten“, erläutert der Architekt seine Arbeit. Vielmehr zeichnet es sich dadurch aus, dass eine Vielfalt von Grundrisstypen in allen Größenordnungen zwischen 80 und 350 m² möglich sind, die sich variabel teilen oder zusammenschalten lassen. „Die Konstruktion des Gebäudes erlaubt vom Loft über die Allraum-Wohnung bis zur klassischen Dielenwohnung alle wohnungsinternen Aufteilungsmöglichkeiten, die den Individualisierungswünschen der Wohnungseigentümer Rechnung tragen, nicht aber deren Nutzerverhalten regulieren“. Zu den Ausstattungsmerkmalen gehören hochwertiges Parkett, Tageslichtbäder, Steuerungspaneele mit Touchscreens, mit denen alle elektrischen Geräte, die Fensterjalousien und die Beleuchtung bedient werden.
Das Gebäude ist nicht als Skulptur ohne Sockel Teil einer fließenden Stadtlandschaft, sondern es kommt wieder an der Straße an. „Als Transitzone zwischen öffentlich und privat präsentiert sich die Fassade des Stadthauses der Öffentlichkeit. Das Wohnen wird hier wieder unmittelbar städtisch“, so Richter. Die Fassade mit den Loggien verhindert, dass Details des Privatlebens ungefiltert vom Straßenraum aus sichtbar sind. Hauseingänge eröffnen Schwellenräume und Vestibüle. Die beiden Treppenhäuser sind künstlerisch gestaltet, große Spiegel erweitern das Foyer im Erdgeschoss optisch. Das Mehrfamilienhaus an der Lindenstraße ist ein Beispiel für die Wiederkehr städtischen Wohnens. Das braucht es, denn, so Richter: „Die überwiegende Mehrheit der Wohnungskäufer ist auf der Suche nach Urbanität aus den Einfamilienhauskolonien des Vordertaunus in die Stadt zurückgekehrt. Ihre Investition in ein hochwertiges städtisches Gebäude bricht mit dem gesellschaftlichen Konsens, dass private Investitionen heute vornehmlich in Auto, Urlaub, Ausstattung, Mode und Versicherungen gehen, während das Wohnen öffentlich subventioniert bleiben soll.“
Im Jahr 2015 erhielt das Mehrfamilienhaus vom Rat für Formgebung die Auszeichnung „Winner“ des Iconic Awards in der Kategorie Architektur/Domestic. 2016 würdigte wiederum der Rat für Formgebung das Projekt mit einer „Special mention“ des German Design Awards in der Kategorie Architektur.
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