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Gute Quartiere schaffen

Stefan Forster über Architektur, Stadtplanung und bezahlbaren Wohnraum

CUBE: Wie stehen Sie zur aktuellen Diskussion über die Qualitäten im gegenwärtigen Wohnungsbau... mehr
CUBE: Wie stehen Sie zur aktuellen Diskussion über die Qualitäten im gegenwärtigen Wohnungsbau und in der Stadtentwicklung? Was macht für Sie qualitätsvollen Wohnungsbau aus?

Stefan Forster: Wohnungsbau muss immer einen Bezug zum Ort herstellen, zu seinen Traditionen und Besonderheiten, seiner spezifischen Geschichte. Architektur hat die Aufgabe, vertraute Assoziationen auszulösen und einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis zu leisten. Das einzelne Haus darf sich nicht in den Vordergrund drängen und sich wichtig machen, sondern muss sich in den bestehenden Kontext einfügen. Mit jedem Haus wird in diesem Sinne die Stadt weitergebaut. Der städtische Raum benötigt an bestimmten Stellen, wie z. B. an Blockecken, markante, identifizierbare Einzelarchitekturen. In diesem Spannungsfeld zwischen Wiedererkennbarkeit und Integration, zwischen Individuum und Kollektiv entsteht gute Architektur. Diese Qualität geht über den privaten Wohnraum hinaus und bezieht sich auf die Stadt als Lebensraum. Es geht darum, das einzelne Haus mit dem Ganzen der Stadt zu verzahnen.

Sie haben die Verantwortung des Architekten angesprochen. Welche Rolle spielt Architektur für die soziale Dimension von Stadt?

Architekten haben die Aufgabe vernünftige und menschenwürdige Wohnungen zu bauen. Unsere Wohnungen sind zudem nutzungsneutral konzipiert, sodass etwa in einer Dreizimmerwohnung sowohl eine Kleinfamilie, ein Ehepaar, ein Single oder eine Studenten-WG glücklich werden können. Unsere Grundrisse, die zumeist auch zu beiden Seiten großzügige Freibereiche vorsehen, bieten prinzipiell diese Flexibilität. Nachhaltigkeit wird heute zu sehr auf den energetischen Standard verkürzt. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch: Wie dauerhaft sind die Materialien? Wie flexibel die Grundrisse? Eine Klinkerfassade ist zum Beispiel um ein Vielfaches langlebiger und wartungsärmer als eine WDVS-Fassade, die nach kurzer Zeit schäbig wirkt und am Ende als Sondermüll die Umwelt belastet. Bei einer Klinkerfassade muss man nach frühestens 80 bis 100 Jahren über das Nacharbeiten der Fugen nachdenken. Neben der ökologischen geht es auch um die ästhetische Nachhaltigkeit. Ein schönes, qualitätsvolles Haus wird man sicherlich so schnell nicht abreißen wie ein hässliches – vorausgesetzt es hält zukünftigen Anforderungen auch stand.

Was müssen wir tun, um die soziale Mischung in unseren Quartieren zu erhalten?

Die soziale Offenheit und damit der dauerhafte Zugang aller Menschen zu bezahlbarem Wohnraum spielt hierbei die wesentliche Rolle. Die aktuelle Tendenz zur gesellschaftlichen Spaltung, wo die unterschiedlichen sozialen Milieus fein säuberlich nach Stadtteilen getrennt werden, halte ich für problematisch. Sicherlich, nicht jeder kann und muss im Westend wohnen – aber wir stehen gerade vor einer Entwicklung, die zur Auflösung ganzer Quartiere mit sozial schwächeren Gruppen führt. Wer etwa heute im Ostend eine bezahlbare Wohnung verliert und nicht über ein entsprechendes Einkommen verfügt, kann eben nicht einfach zwei Häuser oder Straßen weiter in eine vergleichbare Wohnung ziehen. Diese Mieter laufen Gefahr, dass sie ihren Stadtteil und mitunter sogar die ganze Stadt verlassen müssen und vielleicht im Spessart enden. Gleichzeitig entsteht Luxuswohnraum in Wohnhochhäusern für institutionelle Anleger, die dort gar nicht wohnen, sondern nur ihr Geld anlegen wollen. Ich finde diese Entwicklungen fatal.

Kann das Bauen in die Höhe nicht mehr Wohnraum für alle schaffen? Bedeuten Wohnhochhäuser automatisch teurere oder gar Luxuswohnungen?

Sicherlich bieten, gerade in einer Stadt wie Frankfurt, Wohnhochhäuser ein gewisses Potenzial, insbesondere wenn es sich um die Konversion von leerstehenden Büroimmobilien handelt. Wohnhochhäuser stellen aber insgesamt keinen Beitrag zur Lösung des angesprochenen Wohnungsproblems dar. Sie sind immer teurer im Bau und im Unterhalt. Wohnhochhäuser werden auch deshalb gegenwärtig vor allem im hochpreisigen Segment angeboten. Das Problem der steigenden Mieten wird dadurch nicht gelöst. Der teurere Wohnraum führt darüber hinaus auch noch zum Anstieg des Mietspiegels und wirkt sich damit mittelbar auch auf die soziale Zusammensetzung des Umfelds aus. Hinzu kommt, dass wir auch bei Wohnhochhäusern im sozialen Wohnungsbau jede Menge negative Erfahrungen gesammelt haben, die wir heute nicht wiederholen dürfen.

Könnte eine gute soziale Mischung dem nicht entgegenwirken?

Die Erfahrungen, die wir mit den Wohnhochhäusern der Sechziger- und Siebzigerjahre gemacht haben, machen mich eher skeptisch. Ich habe selbst in einem Hochhaus gewohnt – es herrscht zumeist eine gewisse Anonymität, die dafür sorgt, dass sich niemand für die Häuser zuständig fühlt oder sich mit seiner Nachbarschaft wirklich identifiziert. Aus diesen Gründen fällt das Wohnhochhaus als Bautyp für eine sozial gemischte Stadt aus meiner Sicht aus. Ich halte auch nichts von Trabantensiedlungen. Was wir brauchen und was auch unserer Haltung zur Stadt entspricht, ist der städtische Block, das funktionsfähige Quartier. Da rechnet man pro Treppenhaus mit etwa 15 bis 20 Parteien, was dafür sorgt, dass eine Nachbarschaft entstehen kann. Nehmen Sie beispielsweise unsere Wohnhäuser im Westhafen. Diese Häuser zeigen, wie Architektur einen Bezug zum Quartier herstellen kann, wie öffentlicher Raum geschaffen wird. Die Fassaden dieser Häuser sind in Sockel und Mittelteil gegliedert, sie reagieren auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner und verhalten sich mit einer Vielzahl an Details letztlich wie gute Nachbarn. Wir müssen also verdichtete Stadt bauen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und mit Stadt meine ich Viertel wie Sachsenhausen, das Nordend oder Bornheim. Da ist es doch schön. Oder?

Und wie kann das bei den Preisen gehen?

Das geht nur, wenn die Grundstückspreise bezahlbar bleiben. Im Moment sind sie zu hoch. In Berlin oder Dresden beispielsweise werden den städtischen Wohnungsbaugesellschaften von der Stadt Grundstücke kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn die Grundstückspreise aus der Kalkulation wegfallen, können die Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anbieten. Sozialer Wohnungsbau heißt auch sozialen Frieden herstellen. Aktuell versucht man das Problem einseitig durch billigeres Bauen zu lösen. Das schafft jedoch schlechtere Standards. Für mich stellt das eine Diskriminierung der Bewohner dar wenn Architektur asozial wird. Aus diesem Grund wenden wir uns gegen Substandardmodelle. Wir müssen für alle Menschen hochwertig bauen. Also eine Fassade aus Stein, wertige Eingänge, verschieden große Wohnungen die eine gemischte Mieterschaft garantieren. Das sind ganz erprobte Modelle, wir müssen das Rad gar nicht neu erfinden.

Auch nicht bei der Größe?

Der Pro-Kopf-Verbrauch hat in den letzten Jahren zugenommen. Er liegt aktuell bei 48 m². Das kann man als Verschwendung betrachten. Ich denke aber, dass wir uns diesen Luxus erarbeitet haben und ihn nicht einfach infrage stellen sollten, weil er einen Teil unserer Lebensqualität darstellt. Größere Wohnflächen dienen im Übrigen der Konfliktvermeidung. Je enger Menschen zusammenleben, umso größer ist das Konfliktpotenzial. Derzeit wird, im Gegensatz dazu, die Rückkehr zu den Wohnungsgrößen des sozialen Wohnungsbaus der Fünfzigerjahre propagiert. Bis vor nicht allzu langer Zeit musste eine 3-Zimmerwohnung bis zu 90 m² groß sein, heute ist man der Meinung 70 m² würden ausreichen. Ich halte diese Tendenz für falsch.

Bieten Konzepte wie z. B. Minimalismus oder Sharing Economy einen Ausweg?

Minimieren hört sich schön an, passt vielleicht auch für bestimmte Menschen oder eine bestimmte Etappe im Leben, funktioniert aber nicht dauerhaft als Konzept für alle. Rein mit Vernunft betrachtet, brauchen wir weniger als wir haben. Weniger Besitz und Konsum dient der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Jeder könnte bei sich selbst anfangen, weniger fliegen, mehr Rad fahren und etwas weniger heizen. Ich glaube nur nicht, dass ein Großteil der Menschen dazu bereit ist. Diese Art von Individualismus oder gar Egoismus geht noch weiter. Den meisten Menschen ist klar, dass nachverdichtet werden muss oder wir Kitas brauchen – aber keiner möchte das in seiner eigenen Nachbarschaft. Mir geht das ehrlich gesagt ziemlich auf die Nerven. Wir könnten viel mehr Menschen durch Nachverdichtung in der Stadt unterbringen. In der Nähe der Friedberger Warte gibt es Schrotthändler, Kleingärten und einen Abenteuerspielplatz. Ein idealer Ort für ein Stadtquartier. Aber sogar Leute, die gefühlte drei Kilometer entfernt leben, beschweren sich über solche Pläne – verlangen aber oft gleichzeitig mehr bezahlbaren Wohnraum in Frankfurt. Und was entsteht nun dort? Ein Torso von Stadt, eine einmalig vertane Chance für eine vernünftige Stadterweiterung.

Müssten Architekten nicht wegen des gesellschaftlichen Wandels anders bauen?

Es wird immer behauptet, dass Familie ausgedient hätte und es stattdessen immer mehr Singles gäbe. Selbst wenn dem so wäre, brauchen wir vernünftige Wohnungen. Wir können doch nicht einfach alle Leute, die wegen der Arbeit nach Frankfurt kommen und sich vielleicht ohnehin schon einsam fühlen, in Mikro-Appartements stecken. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass viele dieser Menschen liebend gerne in Partnerschaften oder Familien leben würden. Im Übrigen hatten wir auch schon bisher Wohnformen wie Wohngemeinschaften oder gemeinschaftliches Wohnen. Wir müssen keine völlig neuen Wohnmodelle entwickeln, sondern lediglich verschieden große Wohnungen anbieten.

Und was halten Sie von der Umnutzung von Büroräumen?

In den letzten Jahren konnten wir einige Erfahrungen in der Umwandlung von Büro- und Verwaltungsbauten sammeln. Unser Wohnhochhaus an der Lyoner Straße war zunächst ein leerstehendes Bürogebäude aus den Siebzigern. Mit dem Philosophicum haben wir auch ein ehemaliges Seminargebäude in ein Studentenwohnheim umgewandelt. Angesichts der steigenden Mieten ist Umnutzung mittlerweile zu einer rentablen Alternative geworden. Da heute höhere Mieten veranschlagt werden können, zahlen sich die anfallenden hohen Baukosten aus. Aber eine wesentliche Entlastung des Wohnungsmarktes sollte man sich davon nicht versprechen. Es ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die wichtigsten Instrumente sind Umbau, Nachverdichtung und die Entwicklung neuer Gebiete. Alle drei müssten eigentlich mit der gleichen Intensität parallel angegangen werden. Grundsätzlich muss über die Sinnfälligkeit von stadtnahen Kleingartensiedlungen nachgedacht werden.

Brauchen wir nicht für die Luftqualität auch Grünflächen in der Innenstadt – egal ob Kleingarten oder Park?

Frankfurt ist sehr grün und im Vergleich zu anderen Großstädten sehr dünn besiedelt. Außerhalb des Anlagenrings gibt es beispielsweise nur Siedlungs- aber keine Stadtstrukturen. Daher bin ich überzeugt, dass Frankfurt in Sachen Nachverdichtung noch über einiges Potenzial verfügt. Wenn wir ernsthaft Ressourcen schonen möchten, müssen wir so viele Wohnungen wie möglich auf einer Fläche unterbringen.

Herr Forster, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Astrid Biesemeier.

Stefan Forster

Der Architekt Stefan Forster wurde 1958 in Rockenhausen geboren. Er zählt zu den renommiertesten Wohnungsbauarchitekten in Deutschland. Forster treibt die Frage um, wie sich urbane Wohn- und Lebensräume entwickeln lassen und welche Funktion Architektur in der Stadt erfüllt. In seinem Büro mit rund 50 Mitarbeitern dreht sich alles um Wohnungsbau. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen bedacht, darunter mehrfach mit dem Deutschen Bauherrenpreis, der vom Deutschen Städtetag vergeben wird. Er hat in Frankfurt, im Rhein-Main-Gebiet sowie bundesweit zahlreiche richtungsweisende Wohnhäuser gebaut. Mit dem Wohnhochhaus „Lyoner Straße“ hat sein Büro in Frankfurt ein leerstehendes Bürogebäude transformiert und in Leinefelde und Halle (Saale) beispielhaft Plattenbauten umgebaut.

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