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Bauen verpflichtet

Christoph Mäckler anlässlich seines 65. Geburtstags über seine Auffassung von Architektur

CUBE: Was hat Sie bei Ihrer Arbeit geleitet? Mäckler: Es ging mir schon immer um den Stadtraum... mehr

CUBE: Was hat Sie bei Ihrer Arbeit geleitet?
Mäckler: Es ging mir schon immer um den Stadtraum und das, was die Bevölkerung im städtischen Raum erlebt. Die erlebt nämlich nicht die Architektur, wie wir sie im Innern eines Hauses wahrnehmen. Für die Bevölkerung ist nicht wichtig, ob ein Haus von innen rot, grün ober gelb gestrichen ist. Für die Menschen und für die Stadt zählt, wie sich eine Fassade und ein Haus in den städtischen Körper einfügt. Mich interessiert, wie sich ein Gebäude in den städtischen Raum integriert und öffentliche Räume herstellt. Ein Bauwerk im Stadtgefüge ist kein Einzelwerk, sondern ein Stadtbaustein. Aus Häusern baut man Plätze, aus Häusern baut man Straßen. Und wie diese Häuser an der Straße stehen, mit welchen Proportionen, mit welchen Materialien usw. trägt dazu bei, wie man sich in einer Stadt fühlt.

Sie fühlen sich also vor allem der Gesellschaft verpflichtet?
Ja, eindeutig. Der Auftraggeber des Architekten ist die Gesellschaft. Der Bauherr natürlich auch. Aber Städte und Kommunen sind eine Gemeinschaft aus vielen Bauherren, öffentlichen Bauherren, Eigentümern, Investoren usw. – und alle zusammen bilden mit ihren Bauwerken den städtischen Raum. Deswegen haben alle eine Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit. Jedes Haus hat eine Verpflichtung gegenüber seiner Umgebung und kann nicht nur sich selbst genügen. Dafür habe ich mich in den letzten Jahren heftig eingesetzt und dafür auch viel Prügel bezogen. Aber ich bin überzeugt davon, dass das richtig ist. Ich bin auch deswegen überzeugt davon, weil das in den Büchern zur Stadtbaugeschichte niedergeschrieben steht.

An wen denken Sie da?
Wenn wir uns wie Cornelius Gurlitt oder Josef Stübben mehr mit der Geschichte des Städtebaus auseinandersetzen würden, dann wüssten wir, dass unsere Häuser zum Teil anders gebaut werden müssten, als es manchmal geschieht. Dann wüsste zumindest jeder, dass er eine gesellschaftliche Verpflichtung hat. Es kann nicht sein, dass ein Architekt einfach bestimmt, wie ein Ort gestaltet wird. Oder anders: Der Architekt muss sich bewusst sein, dass seine Gestaltung eine wichtige soziale Rolle spielt.

Was fällt für Sie unter den Begriff Nachhaltigkeit? Mir scheint beim Thema Bau denken die meisten vor allem an Energieeffizienz.
Ja, das ist viel zu kurz gegriffen. Die gesellschaftliche Verpflichtung des Architekten zählt unbedingt dazu. Der städtische Raum muss nachhaltig sein, damit sich die Menschen, die dort leben, zuhause fühlen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, daher kann man nicht ständig etwas Neues machen, ohne für große Irritationen zu sorgen. Der städtische Raum muss so gestaltet sein, dass er über Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, Aufenthaltsqualität bietet. Natürlich betrifft eine nachhaltige Planung auch die Dauerhaftigkeit des Gebäudes selbst. Wenn Häuser zu individuell hinsichtlich ihrer Funktionen geplant sind, dann werden sie auch schnell abgerissen. Was ich meine, kann man am besten an den Häusern des 19. Jahrhunderts sehen. Wir leben nicht mehr in der Großfamilie, sondern in der Kleinfamilie, wir leben auch nicht mehr auf 400 m2, sondern auf kleineren Flächen, wir leben nicht mehr im Kaiserreich, sondern in der Demokratie. Unsere Wohnbedürfnisse haben sich also sehr geändert und dennoch können wir in diesen Häusern des 19. Jahrhunderts perfekt leben und arbeiten. Das ist für mich ein wunderbares Beispiel für Nachhaltigkeit. Die Häuser haben eine gewisse Qualität, sie haben Räume, die angenehm geschnitten sind usw. Deshalb sind diese Häuser am Immobilienmarkt immer noch die beliebtesten Wohnobjekte. Deshalb leben die Leute so gerne im Nordend, im Westend, in Sachsenhausen oder in Bornheim.

Aber das liegt nicht nur an Fassaden und Wohnungen dahinter.
Nein, natürlich nicht. Es liegt auch an der Funktionsmischung von Arbeiten, Wohnen, Kneipen, Theater, Kino, Einkaufen, an der Dichte, und es liegt am architektonisch gestalteten wohlproportionieren Raum. Mit den Stuckkaturen hat es überhaupt nichts zu tun, auch wenn viele Menschen die gerne mögen.

Welche Rolle spielen der Besitz von Grund und Boden beim Erhalt einer solchen und vielfältigen Funktionsmischung?
Städte und Gemeinden müssen selbst Grundstücke und Häuser haben, in denen sie bestimmte Dinge, die eine Gesellschaft braucht, verwirklichen können. Die Braubachstraße oder das Dom-Römer-Areal sind wunderbare Beispiele. Die Eigentümer bauen dort auf Erbpacht und die Vermietung des Erdgeschosses unterliegt der Stadt, nicht dem Eigentümer. Dort werden Sie keinen McDonald’s finden. Der kommt da nicht rein, weil der Hausbesitzer das nicht darf. Das Erdgeschoss bestimmt den Stadtraum. Wenn die Mieten so hoch sind, dass nur Handelsketten sie bezahlen können, dann geht Vielfalt kaputt. Das gilt auch für die Wohnungsmieten. Mietpreisbremsen helfen da wenig. Meiner Meinung nach kann eine Stadt bei steigenden Mieten nur mit eigenem Grund und Boden gegensteuern. Ein Ernst May hätte nie so bauen können, wenn die Stadt kein Grund und Boden gehabt hätte.

Dann würde also Nachhaltigkeit in der Architektur bereits beim Grund und Boden beginnen?
Ja klar. In dem Moment, wo einem Besitzer die Fläche eines ganzen Häuserblocks gehört, wird alles viel einheitlicher im Sinne von großmaßstäblich. Wenn es aber in einem solchen Häuserblock von 15 oder 20 Häusern mehrere Besitzer gibt, die unterschiedliche Charaktere und Interessen haben, kann Vielfalt entstehen. Die Kleinteiligkeit, also die engmaschige Parzellierung, ist ein ganz wesentliches Element. Die Durchmischung der Stadt funktioniert natürlich da am besten, wo es viele Eigentümer gibt und nicht nur einen.

Was sind weitere Kriterien für nachhaltiges Bauen?
Natürlich fällt auch das Thema Energie darunter. Aber das sollte man auch nicht übertreiben. Am liebsten hätte man ja, dass wir wie in Kühlschränken wohnen, hermetisch abgeschlossen. Das hat aber mit Leben nichts mehr zu tun. Schließlich möchte man ja auch mal einen Vogel zwitschern hören. Da passiert viel Unsinn, der auch vom Gesetzgeber vorgegeben wird. Die Wärmedämmverbundsysteme sind ökologisch eine Katastrophe. Das wird uns aber erst in einem halben Jahrhundert auf die Füße fallen. Dann haben wir Sondermüll in riesigen Mengen. Viele der Dinge, die geschehen, nützen lediglich der Wirtschaft – aber man kann ja auch mal den Wachstumsgedanken infrage stellen. Ich habe schon vor 20 Jahren einen Aufsatz unter dem Titel „Der Herrenschuh“ geschrieben. Dort kann man nachlesen, wie ich mir nachhaltige Architektur vorstelle. Wenn Sie sich meine Schuhe ansehen, dann sehen Sie, dass die schon alt sind, hier oder da eine Niete ersetzt wurde oder dass das Oberleder etwas gebrochen ist. Weil diese Schuhe schon 20 Jahre alt sind, wurden sie immer wieder besohlt. Natürlich kosten solche Schuhe in der Anschaffung erstmal etwas mehr. Dasselbe gilt auch für die Architektur. Wenn die Anfangsinvestition etwas größer ist als das, was man ursprünglich geplant hat, und man darauf verzichtet, schnelles Geld zu verdienen, dann kann man Nachhaltigkeit schaffen.

Dann muss aber auch die Ästhetik "nachhaltig" sein. Wie gelingt das?
Nehmen Sie beispielsweise den Opernturm, den ich gebaut habe. Der ist nicht besonders spektakulär. Aber ich habe noch niemanden getroffen, der gesagt hat, dass er ihm gar nicht gefällt. Vielleicht klingt es arrogant, das von sich selbst zu sagen. Natürlich kann man Häuser bauen, die spektakulär sind, dann gewinnt man vielleicht den Internationalen Hochhaus Preis. Man kann aber auch sehr selbstverständliche Hochhäuser bauen, die überdauern. Selbstverständlichkeit ist für mich ein sehr wichtiger Begriff. Wir haben die Aufgabe, Häuser zum Arbeiten und zum Leben zu bauen. Wir Architekten haben Bauwerke und keine Kunstwerke zu erstellen. Wenn ich das berücksichtige, weiß ich, dass ich möglichst zeitlos bauen muss. Der Internationale Hochhaus Preis 2014 wurde doch für die Mailänder Wohnhochhäuser "Bosco Verticale" verliehen. Ich bin im letzten Sommer dort gewesen und habe mir das angesehen. Abgesehen davon, dass die Bäume schon eingehen, ist ein Hochhaus mit Gärten und Bäumen in 120 Meter Höhe vor allem spektakulär. Natürlich sagt das auch etwas über unsere Zeit aus. Später kann man sagen: Die hatten ökologische Probleme, darum ist das entstanden. Aber das ist mitnichten ökologisch, das ist mitnichten dauerhaft – sondern das ist ein modischer Schnickschnack und sonst gar nichts. Wir Architekten müssen uns etwas mehr zurücknehmen und uns unserer zutiefst sozialen Aufgabe bewusst sein.

Wie sähe dann ein angemessener Umgang mit den Flüchtlingen aus?
Zuerst einmal: Es gibt keine Flüchtlingsarchitektur. Im schlimmsten Fall gibt es Lager. Flüchtlinge, wenn sie lange hier bleiben, müssen integriert werden. Sie müssen also auf demselben Standard leben wie wir auch. Dafür gibt es keine eigene Architektur. Die Flüchtlinge haben die gleichen menschlichen Bedürfnisse wie wir. Wer glaubt, eine eigene Architektur machen zu müssen, liegt falsch. Im Grunde genommen machen wir es völlig richtig, wenn wir die Flüchtlinge vorübergehend in Turnhallen oder alten Bürogebäuden unterbringen. Jeder Bauingenieur kann in ein Bürohaus Nassräume oder Ähnliches einbauen. Das ist kein Spezialgebiet für Architekten. Wir müssen darauf achten, dass sie integriert werden. Die Armenviertel, die wir ja schon in unserer eigenen Gesellschaft haben, sind eine Katastrophe. Das hat auch etwas damit zu tun, wie wir bauen. Ich komme zurück auf den Häuserblock, über den wir schon gesprochen haben. In einem Häuserblock können unterschiedliche soziale Schichten untergebracht werden: vom gut verdienenden Arzt, der in einer großen Wohnung auf der Beletage mit Blick auf eine Allee wohnt ebenso wie kleinere Wohnungen, in denen Menschen wohnen, die sich weniger leisten können. Immer vorausgesetzt, dass es in den Höfen Platz und Licht gibt. Diese Kleinteiligkeit müssen wir fördern. Soziale Durchmischung ist unglaublich wichtig, um soziale Konflikte zu vermeiden.

Herr Mäckler, Sie spielen Klavier und lieben Bach. Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen seiner Musik und der Architektur?
Ja. Nehmen Sie beispielsweise "Das wohltemperierte Klavier". Es ist hochinteressant, wie die vielen Stimmen, die Bach komponiert hat, zu einer Einheit werden, und zwar eine Einheit in ganz unterschiedlichen Formen. Bei Bach findet man eine Vielfalt in der Einheit.

Also das, was Sie sich unter Stadt vorstellen?
Ja, Vielfalt in der Einheit entspricht dem, wie ich mir Stadt vorstelle.

Herr Mäckler, das ist ein schöner Schluss. Wir danken für das Gepräch!

Das Interview führte Astrid Biesemeier.

Christoph Mäckler Christoph Mäckler, geboren 1951 in Frankfurt am Main, ist deutscher... mehr

Christoph Mäckler


Christoph Mäckler, geboren 1951 in Frankfurt am Main, ist deutscher Architekt und Städtebauer. Seit 1998 ist er Professor an der Technischen Universität Dortmund am Lehrstuhl für Städtebau. Außerdem ist er Direktor des 2008 dort von ihm gegründeten Institutes für Stadtbaukunst.

In Frankfurt realisierte er u. a. den Neubau Kunsthalle Portikus, den Wiederaufbau der Alten Stadtbibliothek, die Neugestaltung der Alten Brücke, den Opernturm oder den Tower 185. Seit 2015 arbeitet er am Deutschen Romantik-Museum, das neben dem Goethehaus in Frankfurt entsteht.

In dem Gespräch, für das CUBE ihn in seinem Büro im 33. Stock mit fantastischem Blick auf die Stadt besuchte, sprach Mäckler vor allem wie einer, der der Stadt und ihren Menschen dienen will.

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