„Unsere Welt braucht ruhige Räume“
Im Gespräch mit dem Architekten Max Dudler
CUBE: War für Sie von vornherein klar, dass Sie Architekt werden?
MAX DUDLER: Ich komme aus einer Familie, die in sechs Generationen am Schweizer Ufer des Bodensees als Steinmetze tätig war. Mein Vater hat mich immer nach Italien mitgenommen in die Steinbrüche des Apennin, um dort Travertin oder Marmor auszuwählen. Da hatte ich von klein auf mit dem Bauen zu tun und deshalb konnte ich es mir in meiner Jugend überhaupt nicht vorstellen, Architekt zu werden. Ich sah mich um in Europa und bald darauf entdeckte ich dann doch die Architektur für mich.
CUBE: Nach einigen Semestern an der Frankfurter Städelschule sind Sie nach Berlin gegangen. Als Sie Ihr Diplom machten, war die Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984 in vollem Gange …
M. DUDLER: Ja, das stimmt. Für die IBA durfte ich mein erstes Haus bauen, das Abspannwerk an der Lützowstraße in Tiergarten. Ich mag dieses Gebäude bis heute; das Haus ist jetzt 25 Jahre alt, aber es könnte auch von 2013 sein und ist vielleicht noch in hundert Jahren modern. Das meine ich, wenn ich von zeitloser Architektur spreche. Mein allererstes Projekt war allerdings eine Bar. Ein Umbau einer früheren Bäckerei in der Schweizer Straße in Frankfurt-Sachsenhausen. 1986 baute ich den Laden zu einem Restaurant mit Bar um. Die „Café Bar“ war damals legendär in Frankfurt.
CUBE: Ein großer Raum, der Länge nach geteilt von einem riesigen, schwarz lackierten Möbel, in dem sogar noch die Toiletten und die Garderobe Platz fanden, schwarze Stühle, schwarze Polster. Das war ein starkes Statement in der Hochphase der Postmoderne, als fast alle ihre Kollegen anfingen Säulen, Sprenggiebel und bunte Türmchen zu bauen.
M. DUDLER: Diese Art der Postmoderne erschien mir damals wie heute zu intellektuell. Im Abspannwerk Lützowstraße wie auch in der Café Bar sind indes fast alle Elemente meiner späteren Arbeit schon angelegt. Leider wurde die Café-Bar vor kurzem umgebaut. Ich hatte zuvor noch versucht, sie zu kaufen.
CUBE: Ihr Diplom absolvierten Sie bei Ludwig Leo …
M. DUDLER: Ludwig Leo, der im vergangenen November leider verstorben ist, hat mich sehr beeinflusst, genauso wie später Oswald Mathias Ungers. Er war ein großer Analytiker. Ich habe von ihm gelernt, wie man die Basis für ein architektonisches Konzept findet. Leo hat mir auch geraten, zu Ungers zu gehen, der gerade den Wettbewerb für die Erweiterung der Frankfurter Messe gewonnen hatte.
Ludwig Leo hat sich stark für die konstruktiven Aspekte des Bauens interessiert. Ungers, genauso zeitgleich Aldo Rossi, war für uns wegen seines Verständnisses von der europäischen Stadt wichtig. Wichtiger als ihre konkreten Bauten, erscheinen mir die theoretischen Grundlagen, die sie damals zur Weiterentwicklung der europäischen Stadt formuliert haben.
CUBE: Ihre Projekte sind fast immer sehr kontextbezogen – also ist auch für Sie die europäische Stadt der wichtigste Referenzpunkt?
M. DUDLER: Eindeutig. Aber auch Chicago oder New York gehören für mich dazu, die Städte sind sehr europäisch geprägt. Oder Buenos Aires. Buenos Aires ist eine Lieblingsstadt von mir, denn dort funktioniert die Anarchie. An einer Stelle steht ein dreigeschossiges Haus und daneben gibt es ein 80 m hohes Gebäude, aber wie in der europäischen Stadt ist alles in Straßen und Blocks parzelliert, jedoch ist der Inhalt dieser klaren Struktur ziemlich verrückt. Da baut jeder was er will, eigentlich ein anarchistisches Durcheinander, das aber als Stadt funktioniert, es hat seine Qualität.
CUBE: Sie haben lange für Oswald Mathias Ungers gearbeitet. Was verbindet sie mit ihm?
M. DUDLER: Die Gespräche und Diskussionen mit ihm haben mich sehr fasziniert. In der Kunst- und Architekturgeschichte kannte er sich aus wie kein anderer! Auch seine Art zu Bauen war für mich ein wesentlicher Ausgangspunkt meiner Auseinandersetzung mit Architektur. Ungers hat seine Bauten in erster Linie von einem intellektuellen Konzept her gedacht. Ihre konkrete Ausgestaltung stand für ihn weniger im Vordergrund, die hat er eher seinem Büro überlassen.
Unsere Gebäude sind dagegen stärker vom Städtebau her gedacht, von den Körpern in der Stadt, also von der konkreten Wirkung der Materialien und der Detaillierung . Der Ort spielt für mich eine überragende Rolle, auch bei der Entscheidung, welches Material in welcher Form verwendet wird. Die Materialwirkung, die Textur eines Gebäudes, das hat Ungers weniger interessiert und das bringt vielleicht den Unterscheid unserer Arbeit auf den Punkt. Aber ich verehre ihn natürlich.
CUBE: Wo, würden sie sagen, ist Ihr Zuhause?
M. DUDLER: Eine gute Frage. Ich sollte wohl sagen: Europa.
CUBE: Es kommt Ihnen jetzt nicht über die Lippen zu sagen „Berlin“.
M. DUDLER: Ich habe mich in Berlin sozialisiert, darum kann ich schon sagen, Berlin ist mein Lebensmittelpunkt. Die Schweiz kann langweilig werden, wenn man zu lange dort bleibt.
CUBE: Regula Lüscher, die Nachfolgerin von Hans Stimmann als Senatsbaudirektorin kommt wie Sie aus der Schweiz, aus Zürich. Schätzen sie ihre Arbeit?
M. DUDLER: Um die städtebauliche Entwicklung einer Stadt wie Berlin erfolgreich gestalten zu können, braucht man einen hohen Entwicklungsdruck des einströmenden Investitionskapitals. Nur wo ein hoher Nachfragedruck besteht, wie in Zürich, ist es möglich, starke Regeln zu definieren.
Aber so stark ist der wirtschaftliche Verwertungsdruck in Berlin nicht. In Ihrer früheren Position bei der Stadt Zürich hatte sie darum einen größeren Gestaltungsspielraum. Sie hat in Zürich dazu beigetragen, die ersten Hochhäuser durchzusetzen. Und da hat mir ihre Art zu argumentieren gefallen. Unter den in Berlin gegebenen Möglichkeiten leistet sie also eine gute Arbeit.
CUBE: Welchen Städtebau braucht Berlin?
M. DUDLER: Die Innenstadt ist sehr vital, fast ein Selbstläufer, es geht hier jetzt vor allem um Gestaltungsfragen auf der Maßstabsebene der Gebäude. Ich denke, die wirklichen Strukturprobleme von Berlin betreffen die Ränder – vor allem die Frage, wie mit den großen Plattenbausiedlungen umzugehen ist. Mit den Großsiedlungen kann und sollte man leben, auch weil diese Quartiere relativ billigen Wohnraum bieten. Mich interessiert, wie diese Wohngebiete weitergebaut werden können.
CUBE: Die Erscheinung Ihrer Bauten, z.B. das Grimm-Zentrum, die Hauptbibliothek der Humboldt-Universität, ist stark von Rastern geprägt. Haben sie keine Furcht vor Monotonie?
M. DUDLER: Wenn man mit einer Addition von Stützen und Stürzen arbeitet, handelt es sich nicht unbedingt gleich um einen Rasterbau. Das Raster ist bei mir kein Selbstzweck, wie bei Ungers vielleicht – noch so ein Unterschied. Mit der Wiederholung von Elementen hat schon die Renaissance Fassaden gestaltet. Ich würde darum eher von einem Volumen sprechen, das durch Stützen und Stürze gegliedert ist – daraus ergibt sich dann die Fassade.
Sicher, ich arbeite mit einem zurückhaltenden Vokabular, und die Begriffe in diesem Vokabular sind die Proportionen, sind Materialität und Tiefe, etwa die Tiefe der Fensterlaibungen. Mal sind sie recht tief wie bei der Diözesanbibliothek in Münster, mal sitzt ein Fenster in der Ebene der Fassade. Die Wiederholung erzeugt aber keine Monotonie, sondern scheint recht anziehend zu sein.
CUBE: Sie haben das Grimm-Zentrum für 3.000 Besucher am Tag geplant, aber derzeit kommen 6.000 bis 7.000 pro Tag. Denken Sie, das liegt auch an der Qualität des Gebäudes?
M. DUDLER: Ich werde in ganz Europa auf die Bibliothek angesprochen, vor allem von jungen Leuten, die sagen, sie gehen immer wieder dorthin, wenn sie nach Berlin kommen.
Ich glaube, dass Bibliotheken immer mehr zu Arbeitsorten werden, für Studenten, für geistig Arbeitende überhaupt, weil sie sich da konzentrieren können. In unserer Welt braucht es irgendwo einen ruhigen Raum. Heute mehr denn je.
CUBE: Herr Dudler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Frank Peter Jäger
Max Dudler
Max Dudler zählt zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen rationalistischen Architektur. Er wurde 1949 in Altenrhein in der Schweiz geboren. Nach dem Studium der Architektur an der Städelschule in Frankfurt am Main und an der Hochschule der Künste Berlin arbeitete er zunächst im Büro von Oswald Mathias Ungers, bevor er 1986 – in Gemeinschaft mit Karl Dudler und Pete Wellbergen – ein eigenes Büro gründete. Es hat heute Niederlassungen in Berlin, Zürich und Frankfurt am Main. Nach verschiedenen Lehraufträgen und Gastprofessuren u.a. in Venedig, Mantua, Dortmund und Wien wurde Max Dudler 2004 als Professor der Klasse Baukunst der Kunstakademie Düsseldorf berufen. Zuletzt erhielt er den DAM Preis für Architektur in Deutschland 2012 und die Auszeichnung des Deutschen Architekturpreises 2013 für seine Arbeit am Hambacher Schloss in Neustadt an der Weinstraße.
www.maxdudler.com