Architektur der Stille
Die Gedenkstätte „Wald der Erinnerung“ ist ein sehr persönlicher Ort der Besinnung
Die vom Berliner Büro Rüthnick Architekten gestaltete Gedenkstätte „Wald der Erinnerung“ befindet sich in Schwielowsee bei Potsdam auf dem Gelände der Henning-von-Treschow-Kaserne. Die Bundeswehr hat den Bau auf Initiative der Hinterbliebenen der im Einsatz verstorbenen Soldaten errichtet. Im November 2014 haben Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck die Gedenkstätte feierlich eingeweiht.
Der „Wald der Erinnerung“ ist als Ergänzung des Berliner Ehrenmals am Bendlerblock, dem Sitz des Bundesministeriums der Verteidigung, gedacht. Die Gedenkstätte in der Hauptstadt dient vor allem als Ort für offizielle Veranstaltungen und der öffentlichen Kranzniederlegung. Die neu errichtete Anlage in Schielowsee ist ebenfalls ein öffentlich zugänglicher Ort. Im Vordergrund stehen dabei aber die Hinterbliebenen. „Unsere Aufgabe war eine Gratwanderung“, erklärt Malte Looff, von Rüthnick Architekten. „Wir sollten einen Ort schaffen, an dem die Hinterbliebenen ihrer persönlichen Trauer nachgehen können, wo gleichzeitig aber auch ein öffentliches Gedenken an die Schicksale der Soldaten ermöglicht wird“.
Das Wechselspiel von privat und öffentlich kennzeichnet die gesamte Anlage. Die Besucher betreten das Gelände durch das zentrale Empfangs- und Informationsgebäude. In dem offenen Durchgang befinden sich eine Fotoausstellung und Informationen zu den Einsatzorten der Soldaten. In dem 95 m2 großen Gebäude sind außerdem die sanitären Anlagen sowie eine Garderobe untergebracht. Vom Empfangsgebäude weg führt ein 150 m langer „Weg der Erinnerung“. Der Weg variiert in der Breite und nimmt so eine mäandernde Form an. Im Verlauf der Wegstrecke sind sieben, 2,6 m hohe, aus Ziegelsteinen gemauerte Stelen errichtet. Auf den Stelen sind Namensschilder der seit dem Jahr 1992 insgesamt 104 gefallenen Soldaten, darunter eine Soldatin, angebracht. Als räumlichen Abschluss der Gedenkstätte trifft der Besucher am Ende des von Stelen gesäumten Weges auf den „Ort der Stille“.
Der überdachte nach zwei Seiten offene Raum verfügt über Sitzbänke zum Verweilen. Der Besucher kann hier eine Gedenkminute einlegen oder einen Blumenstrauß niederlegen. In der Mitte dieses fünf mal fünf Meter großen Raumes befindet sich eine Vertiefung. Dort können die Trauernden eine Kerze in Gedenken an die Verstorbenen aufstellen. An der östlichen Wand ist das Signet der Bundeswehr, ein eisernes Kreuz aus Bronze, angebracht.
Anlass für die Errichtung der rund zwei Millionen teuren Gedenkstätte war die Rückführung der sogenannten „Ehrenhaine“ aus den Kriegsgebieten in Afghanistan und Bosnien. Schon seit Jahrhunderten pflegen die Soldaten den Brauch, zu Ehren ihrer gefallenen Kameraden aus Fundstücken Gedenkstätten zu errichten.
Die Freunde und Familienmitglieder regten an, nach dem Abzug der deutschen Streitkräfte diese letzten sichtbaren Zeichen eines geliebten Menschen zurückzuführen. Fünf Ehrenhaine aus Bosnien und Afghanistan haben Arbeiter mit Originalelementen bereits nachgebaut. Zwei weitere aus dem Kosovo und Afghanistan sollen folgen. Die Haine sind abseits der Gebäude und des Weges auf Lichtungen im Wald platziert. Deren originale Gestaltung kann sehr unterschiedlich sein. Bei großen Feldlagern wie in Kabul sind die Stätten mit Ziegelmauern umgrenzt, andere Orte verwenden Findlinge. Im Feldlager OP North standen einfach nur fünf Holzkreuze. Oft haben die Kameraden auch persönliche Gegenstände der Verstorbenen hinzugefügt, wie zum Beispiel Schulterklappen oder Abzeichen.
Alle diese in den Kriegsgebieten errichteten Gebilde haben Arbeiter im Wald der Kaserne bei Potsdam möglichst originalgetreu wieder aufgebaut. Der Besucher der Gedenkstätte kann so in einem naturverbundenen Rahmen, in stiller Andacht seine Trauer und sein Gedenken vollziehen.
Die Zusammenführung der Ehrenhaine war für die Architekten eine der zentralen Aufgaben. „Die Ehrenhaine bestehen aus ganz unterschiedlichen Materialen“, erläutert Malte Looff. „Wir haben der Gedenkstätte einen gestalterischen Rahmen verliehen, um aus den heterogenen Gegebenheiten ein einheitliches Bild zu schaffen“. Alle Bauten sind aus einem erdfarbenen Ziegelstein gemauert. Durch die Wahl eines Langformates und die versetzte Vermauerung entsteht eine spannungsvolle Oberfläche.
Auch die verschiedenen Ehrenhaine im Wald sind mit Ziegelstein gefasst. Das naturbelassene, regionaltypische Material verschafft der Anlage in ihrer Gesamtheit ein in sich geschlossenes Erscheinungsbild. Die Bauten auf dem 4.500 m2 großen Areal wirken aufgrund der durchgängigen Gestaltung mit naturfarbenen Steinen monolithisch.
Die Architektur nimmt sich zurück und zeigt damit Respekt vor dem Schicksal jedes Einzelnen. Sie vermeidet die heroische Geste, wie man sie von den Ehrenmalen des zweiten Weltkrieges in Berlin kennt. „Die Gedenkstätte ist sehr landschaftlich angelegt. Sie lebt vom Wechselspiel mit dem Wald und der Farbe der Ziegelsteine“, sagt Malte Looff. Eine vergleichbare Anlage wie den „Wald der Erinnerung“ gab es bislang in Deutschland nicht. Die Bundeswehr lässt die Öffentlichkeit teilhaben an dem tragischen Schicksal ihrer im Krieg gefallenen Soldaten, wählt dafür aber einen ungewöhnlichen Rahmen.
„Der Wald der Erinnerung ist der Ort der Besinnung, der Erinnerung an gemeinsam erlebte Geschichten, an Schicksale, an Trauer und Tränen, die mit dem Tod eines Menschen verbunden sind“, sagte Ursula von der Leyen in ihrer Eröffnungsrede. Die neue Gedenkstätte in Schwielowsee ist ein intimer, stiller Platz, abseits der Hektik des Alltags. Eingebettet in die Natur bietet die Anlage den Hinterbliebenen die Möglichkeit, in Frieden und Ruhe der Verstorbenen zu gedenken.
www.ruethnick.com