Transformation mit Seele
Sensibel restaurierte Jahrhundertwende-Villa wird zur Bühne eines modernen Lebensgefühls
Vogelgezwitscher, leises Rauschen der hohen Baumkronen und Jahrhundertwende-Charme. Wer heute durch dieses Villenviertel spaziert, ahnt, warum sich um 1900 das wohlhabende Bürgertum hier niederließ. Auch ein ehemaliges Jagdhaus ist ein Zeugnis dieser Epoche. Schmidt Holzinger Innenarchitekten nahmen sich der Aufgabe an, sein großbürgerliches Erbe zu bewahren und gleichzeitig ein Zuhause für eine vierköpfige Familie zu schaffen. Die Bauherren, Liebhaber prachtvoller Villen und Oldtimer, träumten von einem Haus, das die Tradition ehrt und zugleich Designqualität und Komfort der Gegenwart verkörpert.
Die Vision der Innenarchitekten war klar: Die Seele des Hauses sollte bewahrt, sein Raumprogramm aber behutsam transformiert werden. So wurden Türen, Fenster, Stuckelemente und die historische Treppe restauriert oder originalgetreu nachgebildet. Das Entrée mit dem wieder freigelegten Kamin zeigt heute das rote Klinkermauerwerk, das Jahrzehnte unter Farbschichten verborgen war. Daran anschließend entfaltet sich ein repräsentatives Raumgefüge: Bibliothek, Esszimmer, Kaminzimmer und Küche reihen sich aneinander, verbunden durch präzise gesetzte Blickachsen. Im zentralen Wohnraum fällt rechts die Kochinsel ins Auge, eingerahmt von historischen Bildmotiven; links öffnet sich der Durchgang ins Esszimmer, wo der große Tisch wie ein ruhender Pol wirkt.Die größte Herausforderung bestand darin, modernste Technik zu integrieren, die man nicht sieht, aber spürt. So verbirgt sich beispielsweise die Klimaanlage des Schlafzimmers unscheinbar hinter einer lederbezogenen Bettrückwand mit abnehmbaren Polsterkassetten. Auch die Lichtlösungen, Einbaumöbel von Studio Holzinger und ein abgestimmtes Farbkonzept verschmelzen Historismus und Moderne zu einem harmonischen Ganzen. Die Materialwahl trägt ebenfalls zu dieser Verbindung bei: Eiche-Tafelparkett trifft auf Naturstein mit deutlich sichtbaren Sedimentstrukturen, während Farbakzente – tintenblau in der Bibliothek, fuchsia hinter dem Regal, tiefrot in einer Leuchte über der Kochinsel – den Räumen eine zeitgenössische Handschrift verleihen. Oder auch das Bad: Die Badewanne aus Mineralwerkstoff ist zur Hälfte in ein Podest aus dunkelgrauem Naturstein eingelassen. Weiße Calcit-Adern durchziehen den Stein und lassen ihn auf der Vorderseite des Podests wie einen massiven Gesteinsblock erscheinen.
Der vielleicht entscheidendste Eingriff fand dort statt, wo man ihn von außen nicht vermutet: im Keller. Ursprünglich niedrig und kaum nutzbar, wurden die Böden um 30 Zentimeter abgesenkt. Aus Abstell- und Lagerräumen wurden so Wohnzonen. Heute beherbergt das Untergeschoss einen Wellnessbereich, in dem Natursteinwände und geschickt kaschierte Türen den Eindruck einer zeitlosen Ruheoase erzeugen. Für die Familie bedeutet das mehr Wohnfläche, mehr Raum für Rückzug, mehr Großzügigkeit im Alltag.
Auch der Garten erhielt eine neue Rolle. Ein zweiseitig verglaster Pavillon mit Flachdach erweitert das Ensemble – puristisch, fast skulptural (auch hier Bauleitung: Architekt Joachim Strauss, Dreieich). Er dient den Bewohner:innen als Ausstellungsfläche für ihre alten Fahrzeuge, kann aber ebenso als Eventraum genutzt werden. Hier kontrastieren glatte, graphitfarbene Oberflächen mit dem offenporigen Travertinboden, dessen Platten ohne Mörtelfugen verlegt wurden. Ein stiller Dialog zwischen Natur und Konstruktion, Vergangenheit und Zukunft. Mit einer Wohnfläche von 685 m² auf insgesamt 1.142 m² Gesamtfläche entstand so ein Familienhaus, das Großzügigkeit und Intimität zugleich ermöglicht. Der historische Charme bleibt spürbar, ist jedoch von einer klaren Haltung zur Gegenwart durchdrungen. Das Haus zeigt, wie sensibel restaurierte Architektur zur Bühne eines modernen Lebensgefühls wird – ohne die eigene Geschichte zu verleugnen.
Fotos:
Ingmar Kurth
www.ingmarkurth.com
(Erschienen in CUBE Frankfurt 03|25)