Einfach quergestellt
Alt und neu ergibt ein einzigartiges Ensemble
Das Siedlungshaus von 1933 anbauen, neubauen, weiterbauen? Die Antwort der Architekten vom Büro Reichwald Schultz war so schlüssig wie bestechend: Die vorhandene Typologie mit dem charakteristischen Spitztonnendach beim Neubau aufgreifen und einfach zum Bestand querstellen. Der kompakte Altbau wird mit dem rückwärtigen Neubau zu einer großzügigen Gartenremise mit einem bis zu 5,50 m hohen, sichtbaren Rundgewölbe transformiert. Der Anbau mit Koch-, Ess- und Wohnbereich ist das Herz des gesamten Hauses. Mit dem gewonnenen Platz wurde der Bestand umorganisiert, sodass im Erdgeschoss ein großzügiger Rückzugsbereich für die Erwachsenen entsteht, während die Kinder das Dachgeschoss und den ausgebauten Spitzboden nutzen. Die Bestandsfassade hatte durch nicht fachgerecht aufgeklebte Klinkerriemchen schweren Schaden genommen, was einen Neuaufbau mit mineralischen Putzen und Silikatfarben erforderte. Originale Fensterteilungen am straßenseitigen Südgiebel und westlichen Kapitänserker wurden wiederhergestellt. Auch der Dachstuhl wurde komplett erneuert. Hier kamen, wie bei der Konstruktion des in Holzrahmenbauweise vorgefertigten Neubaus, CNC-gefräste Bogenbinder aus Furnierschichtholz zum Einsatz, um eine exakte, gleichmäßige Geometrie für Dachdeckung und Innenausbau zu erhalten.
Vom Eingang des Altbaus führt ein Verbindungsgang über einige Stufen hinab in den Neubau auf die Gartenebene. Schon von der Diele aus ergibt sich ein spannungsvoller Blick bis in die Tiefe des Gartens. Große quadratische Fenster öffnen den Neubau, der zentrale Koch- und Essbereich liegt als verbindendes Element in der Sichtachse zwischen Hof und Terrasse. Ein tiefes, durch abgeschrägte Laibungen gefasstes Fenster nach Westen „schwebt“ oberhalb der Küche und prägt wesentlich die Lichtstimmung im Raum. Gegenüber in der Giebelwand sitzt das Fenster direkt auf Höhe des Kamins und schafft so einen intimen Ort im Wohnzimmer. Das dritte Fenster ist eine Öffnung im oberen Bereich der Trennwand und verbindet die Räume, ohne direkte Einblicke zuzulassen. Die Remise wird als Ganzes und als Kontinuum zweier sich durchdringender Räume wahrgenommen. Großzügigkeit und exakte Räume schaffen ein besonderes Raumempfinden. Der Anbau wurde zusammen mit drei segmentierten Tonnendächern an einem Tag aufgestellt und montiert. Die Dachdeckung besteht aus vorgebogenen Titanzinkbahnen, die Fassade aus sibirischer Lärche, behandelt mit einer silbernen Vergrauungslasur. Die Gartenremise erinnert an die von 1910 bis 1940 populären Scheunen im mittleren Westen der USA und stellt zeitlich wie typologisch eine stimmige Entsprechung zum Bestandsgebäude her.
Wohnfläche: 183 m²
Grundstücksgröße: 999 m²
Bauzeit: Februar bis Oktober 2020
Bauweise: Holzrahmenbau
Energiekonzept: EnEV 2016
Fotos:
Marcus Ebener
www.marcus-ebener.de
(Erschienen in CUBE Hamburg 02|21)