Farbe muss nicht bunt heißen
Atmosphäre im Stadtraum, der Architektur und im Innenraum wirkt auf das menschliche Wohlbefinden
CUBE: Warum kam es für Sie nie in Frage, als klassischer Architekt zu arbeiten?
Prof. Dr. Axel Buether: Der Alltag des Architekten war für mich recht ernüchternd. Als Assistent bei Wohn- und Sozialbauten an der Brandenburg Technik Universität musste ich meinen Studierenden mal beibringen, wie man entwirft. Es gibt überhaupt kein Werkzeug, um tatsächlich professionell Räume atmosphärisch zu gestalten. Es ist eher ein Bauchgefühl, ein bisschen wie: Einer mag es bunt, der andere eher ein bisschen schlichter, aber warum man überhaupt Atmosphäre braucht, was diese mit uns macht, wie wir Farben wahrnehmen, wie man all das systematisch in die Gestaltung von Architektur, Stadtraum, Gebäuden und Innenräumen einbeziehen kann – all das fehlte nahezu völlig.
CUBE: Es war das ausschlaggebende Kriterium zu sagen, klassische Architektur kommt nicht in Frage, um es vielleicht dann besser zu machen, sich von den klassischen Werkzeugen, die man hat abzuheben?
Das war weniger der Wunsch, sich abzueben, als der Wunsch zu verstehen. Ich habe dann im Grenzbereich zur Wahrnehmungspsychologie und Neurowissenschaft promoviert, weil ich wissen wollte, wie wir Raum wahrnehmen. Wir wissen heute, dass der Blick auf den grünen Aussenraum und den Himmel gut für unsere Gesundheit ist. Menschen haben bessere Gesundheitsdaten, leben gesünder und fühlen sich wohler. Wenn ich im Stadtraum monotone oder quietschbunte, also nicht zweckgerichtete Gestaltung habe, was beides gleich schlimm ist, dann fühle ich mich unwohl. Diese Orte werden nicht besucht, sind teilweise durch eine hohe Kriminalität, Armutsraten und so weiter geptägt. Das heißt, ich kann mit Atmosphäre im Stadtraum, in der Architektur und im Innenraum tatsächlich auf das Verhalten und Erleben von Menschen einwirken. Ich kann deren Wohlbefinden, Gesundheit und Motivation steigern.
Sie gelten als weltweit führender Farbexperte und renommierter Farbforscher im deutschsprachigen Raum. Was reizt Sie am Thema Farbe?
Zu Beginn empfand ich eher Neugier auf das Thema. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mein Leben lang, inzwischen seit 25 Jahren, damit beschäftigen werde. Nun wird ja die ganze Kliniklandschaft in Deutschland umgestaltet. Das hat riesige Folgen für meine Forschungen, weil es einen großen Nachholbedarf bei den klassischen Farblehren gibt, die ja künstlerisch ausgerichtet sind, hin zu einer Evidenz basierten tatsächlich wissenschaftlich nachprüfbaren, funktionellen Farbgestaltung.
Wie kamen Sie dazu zu sagen, ich möchte wissen, was Farben sind und was Farben ausmachen, um abseits des Klischees zu arbeiten?
Farbe muss nicht immer bunt heißen. Für mich sind unbunte Farben auch Farben. Schwarz, Weiß und Grau sind wichtige Farben. Wir arbeiten zum Beispiel mit 30, 40 Weisstönen und mit mehreren hundert Grautönen. Das Licht der Sonne ist auch nicht Reinweiß. Das wechselt mit dem Tageslicht. Es korreliert mit der Hormonausschüttung im Gehirn. Wenn wir helles Licht erzeugen, was eher bläuliches Weiß hat, also Kaltweiß, dann wird Serotonin ausgeschüttet. Wir werden munter, können konzentrierte Aufgaben besser lösen. Unsere gesamte Welt ist quasi farbig. In der Architektur braucht alles eine Farbentscheidung: Boden, Wand, Decke und Einrichtung. Das ist wahnsinnig komplex, weil wir auch oft Objekte mit 40, 50, 60 Farbentscheidungen haben und es immer noch nicht bunt aussieht. Wenn man dem aus dem Weg weggehen will, da sind wir jetzt bei der klassischen Ausbildung, weil man Angst vor Farben hat, kann man auch viel falsch machen.
Könnten Sie das bitte näher ausführen?
Meine ersten evidenzbasierten Forschungen waren im Krankenhausbereich. Wir konnten durch farbliche Umgestaltung mehrerer Intensivstationen den Krankenstand des Personals um 30 Prozent und den Verbrauch von Psychopharmaka um 35 Prozent senken. Seitdem suchen wir weiter nach Evidenz, versuchen uns Ziele zu stecken. Das denke ich ist architektonisches Entwerfen: Was möchte ich erreichen mit dem Raum und bei den Menschen? Am Anfang der Prozesse stehen immer intensive Gespräche mit Nutzergruppen. Wenn man diese noch nicht kennt, dann suchen wir exemplarische Nutzerkruppen.
Herr Prof. Dr. Buether, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Kelly Kelch.
Foto:
Martin Jepp
www.martinjepp.de
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(Erschienen in CUBE Berlin 04|24)