Moderne Gründerzeit

Wohnen und Arbeiten unter einem Dach ist keine moderne Erfindung, auch wenn das derzeit so scheinen mag. In der Gründerzeit etwa haben erfolgreiche Handwerker oft Häuser errichten lassen, in denen sie selbst wohnten und arbeiteten, in denen es obendrein noch Mietwohnungen gab. Im siebten Bezirk steht eines dieser Häuser, das Architekt Oskar Marmorek für einen Hofschuhmacher als Wohn- und Fabrikgebäude errichtet hat. Heute steht das Haus mit seinen vertikalen Erkerbändern unter Denkmalschutz, innen wie außen. Das machte es für Architektin Susanne Urban notwendig, eng mit dem Denkmalamt zusammenzuarbeiten, als sie mit der Sanierung einer Wohnung beauftragt wurde.

Die im Mezzanin gelegene Wohnung bewohnte einst der Hausherr. Entsprechend großzügig und vornehm zeigen sich die Räumlichkeiten mit ihren typischen Jugendstilelementen. Stuckdecken, Fischgrätparkett und eine Tapetentür mit Messingbeschlägen aus der Entstehungszeit des Gebäudes wurden aufgearbeitet, der Grundriss ohne große Veränderungen funktional neu geordnet. Die drei straßenseitig gelegenen Haupträume haben nichts von ihrem historischen Flair eingebüßt und beherbergen doch modernes Leben. Die dreiteilige Zimmerflucht mit dem mittigen Esszimmer lässt offenes Wohnen zu und bietet doch zugleich Rückzugsmöglichkeiten, etwa in die Bibliothek mit Ruheraum. Das Geheimnis scheint in der Möglichkeit zu liegen, nicht alles zeigen zu müssen. Die Küchenutensilien etwa. Die verschwinden dezent, wenn die Taschentüren des hellen Küchenschranks geschlossen sind. Dann zeigt sich der Raum nur noch in seiner flächigen Farbigkeit in Petrol, Türkis und Weiß. Elegant ergänzen sich historische Räume mit Antiquitäten und vom Tischler gefertigten Einbaumöbeln.

Der Aufteilung der Wohnung kommt zugute, dass es zwei Lichthöfe gibt. Das ermöglicht es, Kinder und Eltern in zwei voneinander getrennten Flügeln unterzubringen. Verbindendes Element und zentraler Erschließungsort ist der gleich hinter der Eingangstür gelegene Vorraum. Er dient zum Ankommen, zum Ablegen, zur ersten Begrüßung. Dass von hier die beiden Schlaftrakte wegführen, lässt sich allenfalls erahnen. Ein Einbauschrank verbirgt nicht nur viel Stauraum, sondern auch den Eingang zum Elternbereich. Und spätestens hier wird deutlich, wie sich gute Architektur über die Jahrhunderte den veränderten Wünschen ihrer Bewohner anpassen kann. Selbst eine Sauna lässt sich so mit Jugendstil vereinen.

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Fotos:

Benedikt Steinle

(Erschienen in CUBE Wien 01|21)