Weiterbau statt Tabula Rasa
In Antwerpen entsteht in den ehemaligen Hafengebieten ein neues Stadtviertel
Mode- und Kulturmetropole, Diamanten-Umschlagplatz und Seehafenstadt – Antwerpen fasziniert mit vielen Reizen. Auf dem Gebiet der Architektur beschränkte sich das allerdings zumeist auf die Tradition: Bis heute eine Besichtigung wert sind sicher die Architekturjuwelen des authentisch rekonstruierten Rubenshauses samt seines manieristischen Gartens, gewiss auch die gotische Liebfrauenkirche, das Renaissance-Rathaus, der Hauptbahnhof im Stil des Art Nouveau.
Seit einigen Jahren lässt aber auch die zeitgenössische Architektur in der 600.000-Einwohner starken, sehr multikulturell geprägten Metropole aufhorchen: Vor allem der etwa 200 Hektar große alte Hafen des Eilandje, der mit dem Einzug der Containerschiffahrt außer Dienst gestellt wurde und über drei Jahrzehnte brach lag, ist heute ein wichtiges Stadterweiterungsgebiet, in dem die Kräne sich ständig drehen. Anders als in vielen anderen europäischen Hafenstädten hat man sich dagegen entschieden, das ganze Gebiet rückzubauen und komplett auf dem Reißbrett neu zu konzipieren. Die versprengten ehemaligen Lagerhäuser, Hafenarbeitersiedlungen, Bürobauten der Reedereien und vieles anderes mehr wurden in weiten Teilen erhalten. Anstatt neue Großbauten zu konzipieren, füllte man die Baulücken; erhielt die Freiräume, indem man eine neue Waterfront mit Hochhäusern schuf. Ästhetisch besonders gelungen sind dabei sicher die sechs quadratischen Luxuswohntürme der Westkaai Torens, die in einer dialogischen Komposition derzeit sukzessive nach Entwürfen von Diener&Diener, David Chipperfield und Tony Fretton am Rande des Kattendijk-Docks entstehen. In diese Serie ordnet sich auch der Leuchtturm des neuen Stadtquartiers ein: das aus zehn Ausstellungs- und Archivetagen gestapelte, von einer gläsernen öffentlichen Promenade spiralförmig umlaufene Museum aan de Stroom (MAS) der Rotterdamer Architekten Neutelings & Riedijk. Auf den Museumsbau, der zwar in exponierter Lage steht, aber sich in seiner Kubatur doch gut ins Gesamtbild einfindet, wird bald der expressiv überkragte Bau der Hafenverwaltung am nördlichen Hafenrand antworten: Schon nächstes Jahr soll aus der historischen Hafenfeuerwehr ein gewaltiger stromlinienförmiger Stiletto von Zaha Hadid herausgewachsen sein – gewiss ein großer Hingucker. Auch diese Stararchitektur hat ihren Ort im Antwerpener Konversionsgebiet – allerdings überwiegt doch vor allem die alltägliche, auf eher kleinen Parzellen tätig werdende Architekturproduktion. Das braucht Zeit, verleiht dem ehemaligen Hafen und neuem Quartier aber auch erst den Charakter organisch gewachsener Urbanität.