Tradition verpflichtet
...kann aber auch hinderlich sein – man muss nur Wege finden, damit umzugehen
Was tun, wenn die Bauvorschriften und die Gestaltungssatzung so gar keinen Spielraum lassen, einen architektonischen Entwurf nach eigenem Geschmack und Gutdünken umzusetzen? Vor dieses Problem gestellt sahen sich zwei junge Architekten im ländlichen Raum bei München. Einerseits liegen den strengen Vorgaben Zugeständnisse an den Tourismus zugrunde, und zusätzlich wird die Tradition hochgehalten. Keine noch so gelungene moderne Architektur hat hier eine Chance realisiert werden zu können.
Sabrina Bongartz und ihr Bruder Maximilian Appel lösen bei Bauaufgaben in der Region den Konflikt „traditionell versus Modern“ derart, dass sie im Rahmen der Möglichkeiten eine Neuinterpretation des ländlichen Baustils anstreben. Bei diesem Projekt ging es um den Neubau eines Ensembles bestehend aus einem Einfamilienhaus mit Büro und eines Zweifamilienhauses für langfristiges Mehrgenerationenwohnen. Damit musste der Entwurf so beschaffen sein, dass „über den Tag hinaus“ andere Nutzungen möglich sind, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Optik bayerischer Bauernhäuser. Es entstanden zwei zueinander gedrehte Wohnhäuser mit einem Verbindungsbau, der Gemeinschaftsflächen und Privatheit sowie Wohnen und Arbeiten an einem Ort für bis zu drei Familien vereint. Dieser Ansatz war die einzige Chance, eine Nutzung über mehrere Generationen hinaus zu sichern. Das Grundstück gab eine Anordnung der Häuser in einer Reihe von Nord nach Süd vor. „Haus Nord“ ist das Einfamilienhaus mit einem großen Gemeinschaftsbüro, das bei Bedarf in eine Einliegerwohnung umgewandelt werden kann. „Haus Süd“ ist gegenwärtig für den Raumbedarf zweier Familien ausgelegt. Im Erdgeschoss gibt es eine barrierefreie, für rollstuhlgerechte Nutzung vorgerüstete Wohnung und einen Wohn-Ess-Bereich, der zu der zweiten Wohneinheit gehört, die sich über das gesamte Obergeschoss fortsetzt. Bei Bedarf kann das gesamte Haus zu einer Einheit zusammengelegt werden. Eine Pelletheizung in „Haus Nord“ sorgt für Wärme in beiden Häusern. Die Eingänge liegen auf der Ostseite, im Westen schließt sich ein großer gemeinschaftlicher Garten an. Zur Sorgfalt der Planung und der qualitätvollen und nachhaltigen Ausführung der Häuser gehörte auch, der traditionellen Bauweise aus Ziegel und massiver Holzbauweise treu zu bleiben. Hier ist aber die Besonderheit, dass das Obergeschoss in Massivholzbauweise erstellt und dies innen sichtbar belassen wurde. Typisch für die Region wäre Ziegel mit vorgesetzter Verschalung gewesen. Durch eine intensive Grundlagenermittlung war bereits zu Beginn der Planungsphase klar, dass das Grundstück hohes Grundwasser hat und damit eine aufwändige, kosten- und zeitintensive Baugrube nötig war.
www.sabrinabongartzarchitektur.de
Fotos:
Gabriele Appel
(Erschienen in CUBE München 04|24)