Neues Leben in der Kirche
Die Bauaufgabe bestand darin, ein funktionales und gestalterisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das die Erneuerung der technischen Anlagen und die unterschiedlichen Nutzungen und Anforderungen verknüpft.
Die evangelische Stadtkirche St. Germanus, mitten im alten Ortskern von Untertürkheim, hat eine wechselvolle Geschichte zu erzählen: Ihr Ursprung geht auf das 15. Jahrhundert zurück. Im 30-jährigen Krieg wurde sie zerstört, in den Folgejahren wiederaufgebaut, um 1800 umgebaut und erweitert. In den 1960er-Jahren wurde eine neue Empore eingezogen und eine vom Künstler HAP Grieshaber gestaltete, verschiebbare Altarwand zwischen Kirchenraum und Chorraum eingebaut. Nachdem das Kirchendach und der Turm im Jahr 2011 saniert waren, wurde aufgrund technischer, funktionaler und gestalterischer Defizite eine Gesamtsanierung notwendig. Die Bauaufgabe für die Planungsgesellschaft Tiemann-Petri Koch bestand darin, ein funktionales und gestalterisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das die Erneuerung der technischen Anlagen und die unterschiedlichen Nutzungen und Anforderungen verknüpft.
Neben den sonntäglichen Gottesdiensten nutzt die Gemeinde die Kirche auch für Konzerte und der abgetrennte Chorraum steht für Chorproben, Musikunterricht und Vorträge zur Verfügung. Dafür brach man das bestehende Zugangsbauwerk ab und ersetzte es durch einen neuen Anbau, der über eine schmale Glasfuge an die Sandsteinwand der Kirche anschließt. Der Kubus aus eingefärbtem Sichtbeton, welcher städtebaulich die Lücke zwischen Kirche und der Nachbarbebauung schließt und in Richtung der Ortsmitte einen kleinen Platz schafft, nimmt ein behindertengerechtes WC und eine Küche auf. Türen und Einbauten sind aus Holz, um einen Bezug zum Kircheninnenraum zu schaffen. Die Holzfassade zum Platz lässt sich über großformatige Schiebeläden zur neuen Küche hin öffnen.
Dadurch entsteht eine optische und funktionale Beziehung zum bewusst schlicht gestalteten Innenhof der Kirche. Der Eingangsbereich unterhalb der Empore ist offen gestaltet. Besucher betreten die Kirche über eine eingestellte „Box“ aus Eichenholz und Glas mit Ablagen für Informationsbroschüren, einem Lesepult und zwei Hockern. Sie ist großzügig verglast, sodass die Sicht auf die Josefswand von HAP Grieshaber frei ist. Eine Wendeltreppe im Kircheninnenraum führt zu der mit einem Glasgeländer neu gestalteten Empore. Die Orgel wurde saniert, gereinigt, neu intoniert und in das Gestaltungskonzept integriert. Restauratoren konservierten die Fresken an den Wänden, die Josefswand und verschiedene Kunstgegenstände. Mit dem neuen Beleuchtungskonzept aus LED-Einbauleuchten und einer „Lichtwolke“ aus 28 mattierten, einzeln abgependelten Glasröhren sind unterschiedliche Lichtszenarien möglich. Einzelne Bereiche wie der Taufstein, das Kruzifix und der Altar sowie Wandmalereien und die Josefswand werden lichttechnisch akzentuiert.
(Erschienen in CUBE Stuttgart 04|19)