„Vierseithaus“ Nordlicht
Vielfältige Optik – tief im Bayerischen Wald
Im Naturpark Bayerischer Böhmerwald befinden sich die traditionellen „Waldlerhäuser“. Mit ihren flachen, langgezogenen Satteldächern wirken sie so, als wollten sie mit der Landschaft eins werden. Diese ortstypischen, langen steinernen Bauten mit Holzkonstruktionen inspirierten das Design des Hauses Nordlicht. In der Nähe von Waldkirchen, knapp 20 Kilometer vor der österreichisch-tschechischen Grenze und auf fast 900 Höhenmetern, fand ein Paar einen idyllischen Ort für ihr neues Zuhause. Umgeben von dichtem Wald und Wiesen, zeichnet sich nun die Silhouette eines monolithischen Hauses ab, das sich mit seinem flachen tiefschwarzen Dach in die Landschaft einfügt. Der Passauer Architekt Florian Schätz realisierte mit seinem Büro FACE2050 eine Fusion aus Mid-Century Moderne und neuem Regionalismus. Das Ergebnis ist ein Bungalow mit offenen Grundrissen, 60 Zentimeter dicken Betonwänden und großen Fenstern, die eine enge Verbindung zur Natur ermöglichen. Er schafft Funktionalität mit klaren Linien und konstruiert innovativ, um architektonische Traditionen in einer reduzierten, aber dennoch wiedererkennbaren Form neu zu interpretieren. Womöglich hätte der Bauherr, ein ehemaliger Steinmetz, sein Haus am liebsten aus einem großen Stein herausgemeißelt. Diese Vorstellung führte zur Idee, einen fugenlosen, monolithischen Bau wie aus einem Guss, unter dem Waldlerdach, zu schaffen. Bei näherer Betrachtung offenbart sich eine einzigartige Wohnskulptur mit kunstvoll inszenierten Räumen auf 280 m². Diese steht in ständigem, harmonischem Dialog mit der Umgebung und dem wechselhaften Klima von heißer Sommersonne und schneeverwehten Wintern. Das Material der Wahl war thermischer Leichtbeton mit Schaumglas und natürlichen Tonzuschlägen unter Brettsperrholzelementen sowie Stehfalzblech. Die Bezeichnung „Vierseithaus“ – nicht zu verwechseln mit Vierseithof – hat sich das Gebäude dadurch verdient, dass jede Seite des Bauwerks eine gänzlich unterschiedliche Neubewertung und Perspektive bietet. Verschiedene zusammengefügte Elemente ergeben ein „Ganzes“ – dazu gehören der „Enso-Kreis“ und die „Laube“ auf der Firstseite, ein Holzspeicher auf der gegenüberliegenden Seite, ein großzügiger Dachaufsatz mit Panoramafenster, der wie eine Loge über der Landschaft thront, sowie eine vollverglaste Wand samt Terrasse auf der Nordseite des Hauses. Der umliegende Wald stellt nicht nur die malerische Kulisse dar, sondern nimmt eine zentrale Bedeutung ein: Das Licht, das das dichte Grün mit sanften Strahlen durchbricht, verleiht dem Haus Nordlicht seinen Namen. Fichten aus dem nahen Wald hinterließen ihren Abdruck als Schalung für den Sichtbeton. Angelehnt an die traditionelle „Stube“ der Waldlerhäuser, öffnen sich die Wohnbereiche nach Süden, während die Schlafräume, ein Studio und Arbeitsräume sich eher zurückgezogen nach Norden-Osten ausrichten. Florian Schätz, der 15 Jahre Architektur in Singapur lehrte, integriert auch fernöstliche Elemente in das Schaffen von „Face2050“, so der Name seines Büros. Haus Nordlicht reflektiert das Streben nach Einfachheit, Balance zwischen Innen und Außen sowie eine tiefe Verbindung zur Natur auf allen vier Seiten. Es greift dabei die tief in der Tradition des Ortes wurzelnden Elemente des „Waldlerhauses“ auf.
Fotos:
Rainer Taepper
www.rainertaepper.com
(Erschienen in CUBE München 01|24)