Graues Wunder
Dieser zunächst eher schlicht wirkende Neubau eines Einfamilienhauses hat es in sich. Er spielt sozusagen die Hauptrolle in einem Stück, das „Quantensprung“ heißen könnte. Der Architekt Michael Thalmair, einer der Partner von KPT Architekten aus Freising, hat ein Neubauvorhaben für ein Experiment zur Verfügung gestellt. Schon vor fünf Jahren hatte er sein eigenes Haus mit Infraleichtbeton erbaut (CUBE München 04|19). Ein Leuchtturmprojekt in Sachen Betontechnologie, das vielfach publiziert wurde. Er fand mit dem Betontechnologen Björn Callsen einen Mitstreiter zur Umsetzung eines neuen Hochleistungsbetons, der keiner zusätzlichen Dämmung bedarf. Das Ziel: Der bereits seit etwa zehn Jahren als Baumaterial verwendete Infraleichtbeton sollte optimiert und weiterentwickelt werden – und das gelang. Dennoch vermochte sich das Baumaterial bislang trotz seiner augenfälligen Vorteile nicht auf breiter Ebene durchzusetzen, da sich der Herstellungsprozess vom herkömmlichen Beton unterscheidet und die Mischsilos auf die neue Zusammensetzung umgestellt werden müssten, was vielen Betonwerken zu aufwendig war. Doch dann kam die Wende: Vergangenes Jahr wurde Thalmair ein Grundstück in Pfaffenhofen angeboten und er beschloss, es zu kaufen und darauf ein Wohnhaus als Mietobjekt zu bauen. Wie es der Zufall wollte, begegnete er Callsen erneut, der inzwischen von seinem aktuellen Arbeitgeber ein Forschungsprojekt genehmigt bekam, um dieses Baumaterial weiterzuentwickeln. Callsen gelang es, sowohl die Technologie der Herstellung als auch die Zusammensetzung des Infraleichtbetons zu verfeinern. „Entstanden ist ein Hochleistungsbeton als Weiterentwicklung der früheren Zusammensetzung, der durch seine bauphysikalischen Eigenschaften aktuell und wahrscheinlich auch für eine längere Zeit konkurrenzlos sein wird“, mutmaßt Thalmair, der sein neues Haus quasi als Versuchsobjekt nutzt, um mit diesem neuen verfeinerten Infraleichtbeton zu bauen.
Auf den ersten Blick ist der Neubau ein fast konventionelles Haus mit einem Satteldach aus Titanzink, das durch seine schmalen, hohen Fenster und deren Anordnung punktet. Das Haus steht so selbstbewusst inmitten eines Wohngebiets, als wisse es, dass es etwas Besonderes ist. Der Baugrund liegt am Hang, in dem das Untergeschoss halb verschwindet. Der sichtbare Teil ist mit schwarz lasiertem Fichtenholz verkleidet, ansonsten bleibt der einschalige Beton unverputzt und sichtbar. Ein Carport mit zwei Stellplätzen dockt auf der Südwestseite des Untergeschosses an. Hier liegt auch der Eingang zum Haus. Eine Einliegerwohnung, Keller- und Technikräume befinden sich ebenfalls auf dieser Ebene. Kochen, Essen, Wohnen plus Arbeiten sind im Erdgeschoss untergebracht. Das Dach des Carports dient als Terrasse. Im Dachgeschoss ist Platz für ein Elternschlafzimmer mit Ankleide und Bad sowie für zwei Kinderzimmer. Doch wie gesagt, nicht das Innenleben, das durchaus einen hohen Standard aufweist, sondern die Hülle ist es, die hier die Hauptrolle spielt.
Infraleichtbeton ThermoPact
Bei der Neuentwicklung von ThermoPact handelt es sich um einen neuen Hochleistungsbeton mit verbesserter Zusammensetzung des vormals als Infraleichtbeton bekannten Baumaterials. Die Vorteile sind eindeutig: Die Leichtbetonbauweise ermöglicht eine monolithische Bauweise, sprich das einschalige Bauen.
Die Weiterentwicklung ThermoPact hat gegenüber dem bisherigen Infraleichtbeton (ILC) einen Lambda-Wert von 0,125 und eine Rohdichte von 570 kg/cbm (bisher 0,185 bzw. 700). Es ist keine zusätzliche Dämmung erforderlich. Weitere Vorteile sind: Kürzere Bauzeit, weniger Gewerke, höherer Schallschutz, Nachhaltigkeit, umweltschonend, da komplett recycelbar (100 Prozent Blähglasgranulat), nicht brennbar und das Raumklima verbessernd. Zudem gibt es keine Emission von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC). Der Nachteil war bislang, dass die Logistik nicht funktionierte, da der Beton innerhalb einer halben Stunde ab Werk auf der Baustelle sein musste.
Der Hersteller von ThermoPact, hat nun einen neuen Truck entwickelt, einen Betonmischer, der vor Ort auf der Baustelle die Mischung des neuen Infraleichtbetons herstellen kann. Das hier beschriebene Haus entstand auf diese Weise – es ist das erste Haus überhaupt, das mit diesem Material errichtet wurde. Die Optik entspricht der des Sichtbetons. Der 12 m lange Lkw-Aufleger ist ein technisch ausgereiftes mobiles Betonwerk.
Foto: Sebastian Schels
(erschienen in CUBE München 03-20)