Eine Frage der Aussicht
Alt und Neu stehen sich auf einem ehemaligen Heurigengelände gegenüber
Zwischen Stadt und Wienerwald, dort, wohin die Wiener:innen früher zum Heurigen pilgerten, entstand ein Anwesen für zur Planungszeit noch unbekannte Bewohner:innen. Seine Besonderheit zieht es zum einen aus seiner Lage, zum anderen aus seiner Größe, die sich aus dem Zusammenschluss mehrerer Grundstücke ergab. Oben am Hang stehen Gebäude aus der Zeit, als hier noch Schankbetrieb herrschte. Trotz ihres desolaten Zustands hatten sie von Anfang an einen hohen Wert, denn es war nicht möglich gewesen, die Aussicht hier oben zum Anlass zu nehmen, um einen Neubau zu errichten – der war an dieser Stelle nicht erlaubt. Ein Abriss kam schon deshalb auf gar keinen Fall in Frage. Platz für einen Neubau war hingegen am unteren Grundstücksrand, zur Straße hin, vorgesehen. Unter diesen Vorgaben und mit einer Grundstücksgröße von 5.200 m² war es auch für das Architekturbüro archiguards sowie alle beteiligten Firmen ein besonderes Projekt.
Entstanden ist ein Zusammenspiel von Neubau und Bestand, geprägt von der Lage mit Blick über die Stadt. Das Haupthaus zeigt sich zur Straße hin monolithisch geschlossen. Zum Hang löst sich dieser Charakter auf. Balkone beschatten große Glasöffnungen. Sie führen den Blick den Hang hinauf, hin zu den umsichtig sanierten Bestandsgebäuden. Über dem einen, einem reaktivierten Weinkeller, liegt heute eine Außenterrasse, das andere dient als Gästehaus. Von hier oben wirkt die große Terrassenfläche unten wie eine Bühne, umgeben von Haupthaus und Poolhaus, die über Eck durch eine Spange verbunden sind. „Wir haben mit Drohnenfotos die beste Ausrichtung und Blickachsen ermittelt“, so der Architekt Alexander Nieke. Für den großen Auftritt ist das Erdgeschoss mit südwestlichem Gartenbezug ausgelegt. Das erste Untergeschoss, das nochmal um fünfzig Prozent größer als das Erdgeschoss ist, beherbergt unter anderem das Hallenbad und das Heimkino. Hier liegt auch eine Einliegerwohnung.
Innen und Außen verschmelzen bei diesem Anwesen nicht nur durch die fließenden Übergänge. Es ist die Architektur selbst, die hier die Verbindung schafft. Die kubischen Elemente des Bauwerks nehmen die Funktionsbereiche auf, setzen sich in den Einbauten fort. Eine Unterteilung zwischen Hülle und Kern gibt es nicht. Heller Kalkstein findet sich auf Böden im Haus und drumherum. Zusätzlich sind innen Eichendielen verlegt. Die Holzart korrespondiert mit dem dunkel gebeizten Eichenholz, das die Einbauten aus Nussbaumholz ergänzt. Bei einem Projekt dieser Größenordnung ist auch die Haustechnik außergewöhnlich. Das zweite Untergeschoss ist extra dafür reserviert. Von außen sind Pufferspeicher, Erdwärmepumpe und Co. damit nicht erkennbar.
Nutzfläche: 1.200 m²
Grundstücksgröße: 5.200 m²
Projektzeit: 5 Jahre, davon 20 Monate Bauzeit
Bauweise: Stahlbetonmassivbau
Energiekonzept: Erdwärmesonden mit Solaranlage im hinteren Garten, Fußbodenheizung, Deckenkühlung, Pufferspeicher, Fotovoltaik auf dem Dach, Regenwasserzisternen für Gartenbewässerung
Fotos:
Werner Streitfelder
www.werner-streitfelder.com
(Erschienen in CUBE Select 02|24)