Die Röhre – Eine Architektur für denkbare Zeiten
Ausstellung zur Utopie von Günther L. Eckert
Anfang der 1980er Jahre entwickelte Günther L. Eckert eine architektonische Utopie: Eine oberirdische, die Erdkugel umspannende riesige Röhre als Lebensraum für die gesamte Menschheit. Mit seinem technisch detailliert ausgearbeiteten Entwurf wollte er nachweisen, dass die gesamte Menschheit in Wohlstand auf der Erde leben kann, ohne diese weiter auszubeuten und zu zerstören. Im Unterschied zu anderen utopischen Konzepten plante Eckert jedoch kein (N)irgendwo oder (N)irgendwann. Die „Kontinuum“ genannte Röhre sollte vielmehr alle bis dato realisierbare Technologien zu einem in sich geschlossenen Regelkreis zusammenführen. Dabei zielte Eckert jedoch nicht primär auf das architektonisch-technische Konstrukt, sondern hoffte, dass die Menschen ihr „Ich“ zugunsten eines „Wir“ aufgeben und sich auf ein von allen gemeinsam getragenes Projekt verständigen könnten.
Günther Ludwig Eckert studierte von 1947 bis 1951 Architektur in München. Als Freier Architekt realisierte er ab 1954 bis 1980 zahlreiche Einfamilienhäuser, Wohn- und Bürokomplexe sowie Kirchen. Bekannt wurde er durch das Wohnhochhaus und die inzwischen unter Denkmalschutz stehende Mensa im Olympi- schen Dorf München (1967-1972). Beim Bau des Hochhauses wurde zum ersten Mal das von Eckert entwickelte „Bausatzverfahren“ eingesetzt, das trotz hochrationalisierter Bauweise mit vorgefertigten Elementen einen individuellen Innenausbau zulässt. Eckert erfand zudem eine Nasszelle aus Kunststoff (1967), in der alle Funktionen eines Badezimmers integriert sind. Neben seiner Arbeit als Architekt war Eckert auch Zeichner und Maler und realisierte zusammen mit dem Autor und Regisseur Werner Prym Filme. Ab 1978 beschäftigte er sich mit der Idee des weltumspannenden Kontinuums. Günther L. Eckert starb 2001 in München.
Inzwischen ist es fast ein halbes Jahrhundert her, seit Eckert seine Idee entwickelt hat. Angesichts des Klimawandels, endlicher Ressourcen und politischer Umbrüche kann man nur mit Schrecken konstatieren, dass seine Überlegungen nichts an Aktualität verloren haben, sondern aktueller sind denn je. Vor diesem Hintergrund veranschaulicht die „Röhre“ umso mehr die Dimensionen der Veränderungen, die wir im Verhältnis zur Natur als Quelle und Grundlage unseres Lebens entwickeln müssen. Die Ausstellung in der Architekturgalerie am Weißenhof zeigt 60 des 100 Blätter umfassenden Manuskripts mit handschriftlichen Texten, Skizzen, Zeichnungen und Berechnungen.
„Es ist nun fast ein halbes Jahrhundert her, seit Günther L. Eckert die Idee eines die Erde umspannenden Kontinuums, die Röhre genannt, entwickelt hat. Mit seinem bis in technische Details ausgearbeiteten architektonischen Entwurf wollte er nachweisen, dass die gesamte Menschheit in Wohlstand auf der Erde überleben kann, ohne sie weiter zu zerstören und auszubeuten. Im Unterschied zu historischen wie aktuellen utopischen Konzepten plante Eckert kein (N)irgendwo oder (N)irgendwann. Vielmehr zog er aus den unserer Technik innewohnenden Tendenzen eine radikale Konsequenz und entwickelte sie zu einem die Erde umspannenden, in sich geschlossenen Regelkreis. Weiterhin kam es ihm darauf an zu zeigen, dass diese wie ein Raumschiff wirkende, die Röhre genannte Konstruktion im Hier und Jetzt mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Techniken gebaut werden könnte.
Kern der utopischen Vorstellungen von Eckert war daher nicht das architektonisch technische Konstrukt. Vielmehr hoffte er, dass die Menschen ihr biologisch bestimmtes „Ich“ zugunsten eines intellektuell begründeten „Wir“ aufgeben: sich auf ein von allen gemeinsam getragenes Projekt verständigen und in Frieden miteinander leben könnten. Die Röhre war als ein mögliches Gehäuse für eine solche, vom „Wir“ bestimmte, zukünftige Menschheit gedacht. Angesichts der immer weiter fortschreitenden Zerstörung unser Umwelt erscheint das Kontinuum nun eher als eine Art Rettungsarchitektur, in die wir Menschen uns werden zurückziehen müssen, wenn wir unser Verhältnis zur Natur nicht grundlegend ändern. Wie immer verstanden: In jedem Fall bietet Eckerts Konzept eine höchst anschauliche Agenda und solide Diskussionsgrundlage für die Dimension der Aufgaben und Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir den Planeten Erde und damit unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen.“ Michael Fehr
Ort:
In der Ausstellung; Architekturgalerie am Weißenhof, Am Weißenhof 20, 70191 Stuttgart
bis 6. Oktober 2024
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