Slowenien: Entdeckungsreise – Plečnik und seine zeitlose Formensprache

Schau im Ausstellungszentrum im Ringturm bis 15. September 2023


In der Architektur Sloweniens der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Jože Plečnik (1872–1957) die bedeutendste und einflussreichste Figur. Die Ausstellung im Ringturm steht unter dem Motto der Entdeckungsreise durch Slowenien und soll nicht nur einige Hauptwerke dieses außergewöhnlichen Baukünstlers näherbringen, sondern vor allem die vielen versteckten, wenig bekannten Arbeiten, die der Architekt geschaffen hat. Als Absolvent der Wagner-Schule in Wien, nach zehn Jahren als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Prag und als Architekt der dortigen Burg, die er als Amtssitz für den Staatspräsidenten meisterhaft adaptierte, kehrte Plečnik in sein Heimatland zurück. Dort schuf er ab 1921 im ganzen Land zahlreiche Werke, die in der Ausstellung sowie in der begleitenden Publikation eindrucksvoll aufbereitet sind.

Die Periode zwischen den beiden Weltkriegen kann man als goldenes Zeitalter der slowenischen Stadtplanung und die Entstehung von Plečniks Laibach bezeichnen, die dem Architekten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die Verwirklichung seiner Ideen bot. So wählte er etwa die Bäume der Stadt sorgfältig hinsichtlich der Größe, der Form und der Farbe der Kronen, denn für ihn waren sie ein gleichwertiger Bestandteil der Architektur. Davon zeugt zum Beispiel der lyrische Charakter des von Trauerweiden begleiteten Spazierwegs entlang des Flusses Ljubljanica in Trnovo (1932–33) oder die Gestaltung des Platzes bei der Kirche St. Jakob (1926–38), wo er mit einer Reihe von Pappeln, die ihm nicht gefallende historistische Kirchenfassade verdeckte. 

Auf ähnliche Weise gestaltete er mit Pappeln, Birken und zugestutzten Ahornen auch die Vegova ulica (1929–42), die bis dahin ein ungeordnetes Konglomerat verschiedener nicht ganz verwirklichter Pläne war. In seiner Vorstellung von Laibach sorgte Plečnik auch für ein mannigfaltiges urbanes Inventar wie Obelisken, Pyramiden, Brunnen, Balustraden, Arkaden und ähnliches, was alles eine klare Bedeutung für die Definition und den Charakter des betreffenden städtischen Raumes besäße. Um die im Budget für die Verschönerung Laibachs vorgesehenen bescheidenen finanziellen Mittel nicht zu belasten,verwendete er statt der teuren Basaltplatten für die Pflasterung der Gehsteige Platten aus billigerem Beton und Sand. Das eingesparte Geld verbrauchte er sodann für andere architektonische Akzente.

Nach einigen Jahren des Aufenthalts in der Heimat, als er zu seinem ebenerdigen Haus bei der Kirche von Trnovo einen runden Zubau (1921–24) errichtete, erinnerten sich als Erste die Franziskaner an ihn, die in der Vorstadt Šiška eine Kirche benötigten. Dies bedeutet den Anfang der Bautätigkeit von Plečnik in Laibach, da die Männerorden eine wichtige Rolle spielten. Neben den Franziskanern waren das vor allem die Jesuiten, mit denen der Architekt in enger Freundschaft verbunden war. Durch ihre Unterstützung baute Plečnik auch Kirchen in Belgrad, Zagreb (Agram) und anderen Orten Jugoslawiens. Vieles davon blieb allerdings leider nur am Papier. Einige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg kooperierte er auch mit den Ursulinen und den Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul. Für die einen baute er das Gymnasium (1939–40) in Laibach, den anderen aber adaptierte er die Kapelle im Schloss von Begunje (1939–40) und errichtete in der Nähe zwei Pavillons (1937–39).

Die Zwischenkriegszeit blieb jedoch ganz der Ausstattung Laibachs vorbehalten, was keineswegs heißt, dass man in dieser Zeit keine bedeutenden Arbeiten Plečniks anderswo in Slowenien findet. Die sichtbarsten Beispiele sind die Christi-Himmelfahrts-Kirche von Bogojina im Übermurgebiet (1924–27) und die Volkssparkasse (1927–30) in Celje. Wenn man den Versuch unternimmt, die wichtigen architektonischen und urbanistischen Aufgaben der Vorkriegszeit aufzuzählen, mit denen sich Plečnik zu befassen hatte, so sind das die Regulierung und Sanierung der Böschungen des Flusses Ljubljanica, die Stadtburg, das Universitätszentrum in Tivoli, die Universitätsbibliothek, der sogenannte Južni trg, die Gestaltung des alten St. Christoph-Friedhofs, der Komplex der Totenkapellen im Friedhof Žale, das neue Magistratsgebäude mit dem Marktplatz, der ehemalige Napoleon-Platz, der Kongressplatz, die Ringstraße, der Bahnhof, die Sanierung der römischen Mauer und noch weitere größere oder kleinere Eingriffe.

Plečniks Hauptwerk dieser Epoche bildet ohne Zweifel das Gebäude der Universitätsbibliothek (1936–1941), nach dem Zweiten Weltkrieg auch National- und Universitätsbibliothek. Damit erinnerte er an das durch das Erdbeben 1895 zerstörte Auersperg-Palais, das einst die Altstadt von Laibach dominierte. Mit der Abwechslung von Stein und leuchtend roten Ziegeln erreichte er auf der Fassade einen Farbeffekt, der nach Plečniks Meinung für die wechselnde Bauweise der einheimischen Karsthäuser charakteristisch gewesen sein soll. Mit den vorstehenden englischen Fenstern und den beiden Portalen deutete er auf Falten einer „textil“ wirkenden Fassade, die einen über das ganze Gebäude gespannten Teppich veranschaulicht. Diese Idee lässt sich von der „Fußmatte“ hinter dem Haupttor über die geringfügigen Verschiebungen der Stufenkontakte mit der Wand des Peristyls, wodurch der Eindruck eines über die Stiege gelegten imaginären „Teppichs“ erweckt wird, bis letztlich zum großen Luster im Lesesaal, verfolgen. Dieser hängt nicht in der Achse des Stiegenhauses,sondern in der Mitte der Decke. Denn es soll sich um einen „Teppich“ mit eigener, von der übrigen Architektur unabhängigen, Ornamentik handeln.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bot Laibach Plečnik keine entsprechenden Aufträge mehr. Deshalb widmete er sich der Ausstattung bereits vor dem Krieg begonnener Sakralbauten und entschied sich für solche am Land sowie für einige slowenische Städte wie Kranj und Škofja Loka. Weil aber die Preise von Baumaterial und Edelmetallen in die Höhe schossen, war es nicht möglich, an größere Projekte zu denken. So musste er mit all seiner Spitzfindigkeit das Teure durch das Billigere ersetzen, wobei er einen einmaligen Einfallsreichtum zeigte. Weil aber die neue Regierung ihn nicht völlig übergehen konnte, erhielt er trotz aller Widerständezweimal die höchste kulturelle Anerkennung, den Prešeren-Preis, und eine weitere staatliche Auszeichnung für sein Lebenswerk und das Projekt des slowenischen Parlaments. Dies ermöglichte Plečnik die Errichtung von Denkmälern für den Befreiungskampf. Mit diesen Arbeiten beauftragten ihn unbekannte lokale Mandatare, ausgenommen Selca bei Škofja Loka (1949–50). Hier kam es zu einer freundschaftlichen Annäherung zwischen ihm und dem Initiator Niko Žumer, während ansonsten keine engere Beziehung zwischen Auftraggeber und -nehmer entstand. Diesen Bereich, den Plečnik einst mit besonders tief empfundenen Grabdenkmälern abdeckte, kennzeichnen daher noch künstlerisch interessante Formenstudien.

Zehn Jahre nach seinem Tod erinnerte sich kaum noch jemand an ihn. Erst mit den Ausstellungen im Ausland, von denen jene von 1986 im Centre Georges Pompidou in Paris die bedeutendste war, die Boris Podrecca organisierte, begann sich die Lage zu ändern. Heute gilt Plečnik neben Architekten wie Erik Gunnar Asplund in Schweden, Dimitris Pikionis in Griechenland, Hans Döllgast in Deutschland und anderen, ihnen Ebenbürtigen als bedeutender Zeitgenosse des europäischen Funktionalismus. Seine größte Leistung liegt in der einzigartigen ideellen Erneuerung der klassischen Architekturthemen und damit in der Rettung des geistigen Reichtums der Tradition vor der technologischen Einseitigkeit der modernen Epoche. 

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