35 INTERVIEW Partnern geteilt werden kann. Darin liegen Chancen, aber auch Risiken, z. B. durch Datenmanipulation und Zugriffen von Unberechtigten. Noch halten sich Versicherer bedeckt in der Formulierung von BIM-Auflagen bei der Bereitstellung von Versicherungsschutz. Doch BIM dürfte bereits Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen. Projektentwickler tun daher gut daran, dem Versicherer die Planung, Erstellung und Bewirtschaftung des beabsichtigten Invests mit BIM aufzuzeigen. Was sind neuere Entwicklungen bei der Versicherung von Bauprojekten? Torsten Überall: Wir sehen, dass bei erfolgreichen Projekten vermehrt Rundumschutz-Policen für Bauprojekte nachgefragt werden, die neben dem Bauherrn auch alle Baubeteiligte (Planer und Ausführende) schützen. Digitalisierung, neue Rollen und Verantwortlichkeiten, veränderte Methoden, andere Baustoffe und Konzeptideen finden ihren Einzug in das Versicherungswesen und neue Trends am Bau bedürfen entsprechender Versicherungsmodelle. Die neuen „All in One-Versicherungen“ bedeuten für viele Baubeteiligte eine erhebliche Veränderung und erfordern ein gewisses Durchsetzungsvermögen vom Auftraggeber, die Partner für ein zentrales, projektbezogenes Versicherungskonzept zu gewinnen. Claudia Bingel: In Deutschland bieten gegenwärtig ca. 20 bis 25 Versicherer Projektdeckungen an. Viele bislang im Bausegment zurückhaltende Risikoträger haben den Bedarf an adäquaten, neuen Versicherungsmodellen erkannt und bewegen sich zeichnungsfreudig auf Bauinvestitionen zu. Die Rahmenbedingungen für einenWechsel vom bisher vorherrschenden, fragmentierten Versicherungseinkauf eines jeden Einzelnen hin zum projektbezogenen und zielgerichteten Schutzkonzept für alle am Bau könnten derzeit nicht besser sein. Und wie sehen die Preise für den „All in One-Versicherungsschutz“ aus? Torsten Überall: Die Versicherungskosten orientieren sich an den steigenden Schadenkosten (Materialpreise/Löhne/Energiekosten) – und bewegen sich derzeit tendenziell leicht steigend, aber noch in moderatem Umfang. Wir erwarten, dass der Risikoschutz für Betriebsunterbrechungslösungen/Mietausfallversicherungen noch teurer wird, da Liefer- und Personalengpässe die vorhersehbaren Unterbrechungs-/Stillstandzeiten verlängern. Um nicht bei laufenden Projekten von Prämienerhöhungen oder bei finaler Fertigstellung von unerwartet hohen Nachforderungen, z. B. bei Endabrechnung der Versicherung, durch die tatsächlich angefallenen Baukosten überrascht zu werden, empfehlen wir, bekannte Umstände am Bau schon während der Laufzeit mit dem Risikoträger zu besprechen, damit nichts Unerwartetes in der eigenen Projektkasse hängen bleibt. Welche Voraussetzungen müssen Ihrer Ansicht nach gegeben sein, damit ein Immobilienprojekt gelingt? Claudia Bingel: Zunächst einmal ist ein erfahrenes und kompetentes Team von Architekten, Ingenieuren, Bauunternehmern, Projektmanagern, Rechtsberatern, Risikomanagern und Finanzexperten unerlässlich, um ein Projekt effektiv planen, umsetzen und überwachen zu können. Zudem ist ein ganzheitliches Risikomanagement erforderlich. Risiken müssen umfassend und rechtzeitig identifiziert werden, um deren Auswirkungen auf ein Bauprojekt zu minimieren. Beratungsunternehmen können mit ihremKnow-how und ihrer Erfahrung helfen, Risiken zu erkennen, zu bewerten, zu reduzieren und für eine adäquate Absicherung zu sorgen.Hier ist ein passgenaues Versicherungskonzept unerlässlich. So ist eine umfassende Projektpolice zur Absicherung der Planungs- und Baurisiken von Vorteil, die von den finanzierenden Banken auch immer häufiger als Voraussetzung für einen Kredit gewünscht wird. Frau Bingel und Herr Überall, wir danken Ihnen für das Gespräch. CUBE: Frau Bingel, Herr Überall, die Baubranche ist gegenwärtig stark unter Druck. Was ist die Ursache und wie lassen sich Insolvenzen vermeiden? Claudia Bingel: Hohe Materialkosten, fehlendes Personal und steigende Zinsen belasten die Immobilienentwickler. Zudem erleben wir eine Zurückhaltung von Käufern und Investoren, sodass die Branche, die zuletzt noch unter Hochdruck produzierte, plötzlich ihr Tempo reduzieren musste, während die Kosten weiterlaufen. Konjunkturzyklen und Veränderungen in der Nachfrage beeinträchtigen somit die Solvenz der Entwickler. Hinzu kommen erschwerte Finanzierungsbedingungen: Während die Zinsen und damit die Kosten der Refinanzierung steigen, agieren die Banken mit Zurückhaltung. Das belastet die Liquidität und auch die Rentabilität von Projekten. Wer sich eine Fehleinschätzung der Kosten leistet oder Zeitpläne und die Entwicklung der Nachfrage falsch beurteilt, sieht sich mit erheblichen finanziellen Belastungen konfrontiert. Torsten Überall: In den letzten Jahren verschärften sich zudem die regulatorischen Anforderungen. Baugenehmigungen dauern länger und Rekurse häufen sich. Umweltauflagen und in jüngerer Zeit auch ESG verursachen zusätzliche Kosten und führen zu längeren Bauzeiten. Während darunter die Rentabilität der Projekte zusätzlich leidet, erlaubt der enge Wettbewerb keinen Spielraum, um sich über höhere Preise Luft zu verschaffen. Die Kombination dieser Faktoren, von denen viele außerhalb des Einflusses der Entwickler liegen, erfordert eine gründliche Planung, um bei steigenden Kosten oder Verzögerungen Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Mit Building Information Modeling (BIM) nimmt die Digitalisierung bei der Projektentwicklung weiter Fahrt auf. Wie wirkt sich BIM auf das Risikomanagement aus? Claudia Bingel: BIM ist eine innovative Methode, bei der digitale Modelle und Informationen für ein Gebäude oder eine Infrastruktur über den gesamten Lebenszyklus erstellt, verwaltet und mit unterschiedlichen Claudia Bingel ist Vice President Real Estate Construction bei Marsh. Sie ist seit über 30 Jahren als Interessenvertreterin der versicherungsnehmenden Parteien tätig und Partnerin für erfolgreiche Bauprojekte sowie Immobilien-Portfolios. Torsten Überall ist Sales Director Real Estate Construction bei Marsh und seit 1998 in der Versicherungsindustrie tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf der ganzheitlichen Risikoidentifikation und Absicherung von Unternehmen der Baubranche. MISCHEN POSSIBLE! Ein kluges Zusammenspiel von Risikomanagement und einer Absicherung für alle am Bau Beteiligten löst viele Probleme Claudia Bingel Torsten Überall
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