CUBE München · 03|22

66 Dies ist aber nicht Ihre erste Arbeit für Kartell, Sie arbeiten schon seit mehr als 20 Jahren mit diesem Unternehmen zusammen. Wie würden Sie diese Beziehung beschreiben? Arbeiten Sie nach einem Design-Briefing oder gehen Sie von einem kreativen Bedürfnis aus? Kartell ist wie eine große Familie, man kennt und versteht sich, manchmal auch ohne Worte. Ich arbeite nicht nach einemDesign-Briefing. Ich arbeite an einer Idee, manchmal jahrelang, und entwickle sie immer weiter in Form eines kreativen Prozesses, der im ständigen Dialog zwischen mir und Kartell ohne Einschränkungen Gestalt annimmt. Nachhaltigkeit ist und war schon immer ein wichtiges Thema für Sie. Woran arbeiten Sie gerade? Experimentieren Sie mit neuen Materialien? Ich arbeite nur für die menschliche Evolution, um Fortschritte zu machen und all die schönen magischen Erfindungen zu nutzen, die unser unglaublich mächtiger menschlicher Fleiß hervorgebracht hat. Weil ich das Leben, in welcher Form auch immer, respektiere, möchte ich nichts zerstören. Das ist mein Ehrgeiz. Deshalb habe ich von Anfang mit nachhaltigen Materialien, die der menschlichen Intelligenz entsprungen sind, experimentiert und gearbeitet. Seit 20 Jahren spreche ich vom Ende des Erdöls und dränge die Industrie, biobasierten Kunststoff herzustellen. Zusammen mit Kartell, für das Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium ist, haben wir immer wieder die Grenzen ausgelotet und Hightech-Produkte entwickelt, wie zum Beispiel die AI-Kollektion oder Ghost. Und jetzt haben wir es erreicht: 100 Prozent des von Kartell verwendeten Plastiks CUBE: Hier in Mailand präsentieren Sie Angelo Stone, eine neue Leuchte, die Sie für die italienische Designmarke Kartell entworfen haben. Können Sie uns zunächst ein wenig zu dieser Leuchte erzählen, was ist das Besondere an ihr? Gab es besondere Herausforderungen, die hierbei zu bewältigen waren? Philippe Starck: Bei Angelo Stone geht es darum, das Unmögliche möglich zu machen, um das Minimum des Minimums, um einen anderen Blickwinkel des Denkens, aber immer mit einer warmen und zeitlosen Menschlichkeit. Ein Ausgangspunkt für die Imagination einer neuen Lichtästhetik, in der das Licht nicht enthalten, sondern großzügig aufgenommen, reflektiert und in den umgebenden Raum abgegeben wird. Die Entwicklung dieser Lampe hat vom ursprünglichen Konzept bis zur Produktion drei Jahre gedauert, da wir lange auf der Suche nach dem richtigen optischen Mechanismus waren. Diesen haben wir dann schließlich bei einem italienischen Hersteller gefunden. Angelo Stone ist eine normale Stehleuchte mit einem klassischen zierlichen Stoffschirm, aber magisch, weil zwischen der Lampe und dem Schirm fast nichts mehr existiert. Eine auf dem Lampenständer positionierte LED-Lichtquelle gibt das Licht nach oben in den Lampenschirm, das hier dann dank eines Spiels hochwertiger, technologischer Linsen vervielfältigt und an das Ambiente abgegeben wird. Das traditionelle Schema Glühbirne und Lampenschirm existiert sozusagen nicht mehr. Ich mag es, visuelle Tricks wie diesen zu kreieren, denn das weckt dein Gehirn auf und bringt einen Tropfen Magie in den Alltag. Etwas Unerwartetes, Überraschendes. Philippe Starck Philippe Starck, weltberühmter Schöpfer mit vielseitigem Erfindungsreichtum, konzentriert sich stets auf das Wesentliche. Seine Vision ist, dass die Schöpfung, in welcher Form auch immer, das Leben so vieler Menschen wie möglich verbessern muss. Diese Philosophie hat ihn zu einem der Pionier des Konzepts „Demokratisches Design“ gemacht. Mit seiner produktiven Arbeit, die von Alltagsprodukten (Möbel, die berühmte Zitronenpresse, Elektrofahrräder) über Architektur (Hotels, Restaurants) bis hin zu Schiffs- und Raumfahrttechnik (Megayachten, Wohnmodule für den privaten Weltraumtourismus) reicht, verschiebt er ständig die Grenzen und Anforderungen des Designs und wird so zu einem der visionärsten Designer der zeitgenössischen Szene. Während der diesjährigen Mailänder Möbelmesse war es uns möglich, ein kurzes Gespräch mit der sonst eher interviewscheuen Designlegende zu führen. © Jean-Baptiste Mondino INTERVIEW „ICH MAG ES, VISUELLE TRICKS ZU KREIEREN“ Die französische Designlegende Philippe Starck im Gespräch auf der Mailänder Möbelmesse

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