CUBE Düsseldorf · 01|23

24 musste mehr über Konstruktion, über Materialien, über die Technik und die Wissenschaft lernen. Und so bin ich zum Ingenieurwesen an die ETH Zürich gekommen. Als ich hierherkam, konnte ich zwar Französisch und Englisch, aber ich konnte kaumDeutsch. Ich habe das Studium absolviert und habe dann noch ein Nachdiplomstudium in Urbanistik angeschlossen. Schließlich habe ich meine Doktorarbeit geschrieben. Kunst, Architektur, Ingenieurwesen, Städtebau – das klingt nach großem universellemWissensdurst. Am Ende haben Sie aber doch über die spezifische Problematik von Faltwerken promoviert. Tatsächlich habe ich mich mehr und mehr für ein mechanisch-mathematischesThema begeistert. Ich habe die Doktorarbeit zwar an der Architekturabteilung der ETH geschrieben, aber eigentlich ging es um Topologie und Geometrie – also dreidimensionale Formen, die sich verändern und einen Körper formen können. Das hat mich sehr begeistert. Lassen Sie mich dabei aber noch eines hinzufügen: Ich war wirklich sehr privilegiert und bin den Universitäten, Hochschulen und Professoren unendlich dankbar, dass ich fast fünfzehn Jahre nur Student sein konnte. Diese Zeit als Student prägt auch heute noch mein Leben. Hätten Sie denn damals gedacht, dass Sie dieses Thema von veränderlichen Strukturen ein Leben lang beschäftigen wird? Warum habe ich auch früher immer gezeichnet? Für meine Doktorarbeit habe ich ein Bild in einem Buch von Walt Disney gefunden. Das Buch CUBE: Grüezi nach Zürich, Herr Calatrava! Seit Beginn Ihrer Karriere entwerfen Sie als Architekt nicht nur Bauwerke, sondern Sie treten auch durch Skulpturen und Zeichnungen als Künstler in die Öffentlichkeit. Wie beeinflusst das eine das andere – oder sind Plastik und Architektur am Ende sogar eins bei Ihnen? Santiago Calatrava: Schon als ich mein Studium begonnen habe, habe ich Architektur als eine Kunst erfasst. Persönlich habe ich schon seit meiner Kindheit immer gezeichnet und war einige Zeit lang in einer Kunstschule. Mein ganzes Leben hatte ich mein kleines Atelier – mein „L’Atelier de la recherche patiente“, wie der Architekt Le Corbusier es nannte. Dort sind einfach Formen entstanden, Zeichnungen und Studien über die Natur, die Tier- und Pflanzenwelt, aber auch den Menschen und seine Natur. Wenn ich zurückblicke, sehe ich eine Symbiose von Tätigkeiten, die sich gegenseitig komplementieren und bereichern. Sie haben nach demArchitekturstudium in Valencia auch noch Bauingenieurwesen an der ETH Zürich studiert. War die Architektur allein nicht genug? Während meines Architekturstudiums habe ich mir viele Bauwerke angesehen, vor allem die gotischen Kathedralen, aber auch die Brücken des 19. Jahrhunderts. Diese Dinge haben mich nicht nur interessiert, sondern ich habe sie als echte Kunstwerke empfunden. Ich sagte mir in aller Bescheidenheit: „Du verstehst nur einen Teil von dem. Du kannst nicht nachvollziehen, warum diese Bauwerke so sind, wie sie sind.“ Ich Santiago Calatrava Promovierter Architekt, Ingenieur, Maler und Bildhauer. Geboren 1952 in Valencia. Studium der Architektur an der Escuela Técnica Superior de Arquitectura und des Bauingenieurwesens an der ETH Zürich. 1981 Promotion. 1980 Eröffnung des Büros Santiago Calatrava AG in Zürich, aktuell mit Zweigstellen in New York und Dubai. Zahlreiche internationale Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden renommierter Universitäten. Zu seinen aktuellen Architekturprojekten zählen das World Trade Center Transportion Hub und die St. Nicholas Kirche in New York, der UAE- und der Qatar-Pavillon der Expo 2020 in Dubai sowie das Museum of Tomorrow in Rio de Janeiro. © Alan Karchmer © Alan Karchmer © Alan Karchmer © Alan Karchmer © Thomas Hoeffgen INTERVIEW EIN PROJEKT VOLLER LICHT Santiago Calatrava imGespräch über den Düsseldorfer „Calatrava-Boulevard“ und seine Haltung als Architekt und Künstler

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