CUBE Berlin · 01|21

22 auch eine gewisse Sinnhaftigkeit bezogen auf den städtischen Kontext vorhanden sein muss. Oder eben stadtkompositorische Aspekte, dass es an einer Stelle ganz besonders sinnvoll ist. Man könnte sich auch funktionale Aspekte vorstellen – das war in dem vorherigen Leitbild in München ein riesigesThema: Infrastrukturknotenpunkte, vor allem die Umsteigebahn- höfe von S- und U-Bahn, als potenzielle Standpunkte auszuweisen. So ähnlich ist das in Berlin auch, aber es muss eben jedes Projekt für sich selbst entschieden werden. Und ich glaube, es ist zum erstenMal in einem Hochhausleitbild verankert worden, dass Hochhäuser über 70mmehrere Funktionen beherbergen müssen: Sie müssen im Erdgeschoss öffentliche Nutzung und auch in den oberen Etagen öffentliche Funktionen, also wohnen und arbeiten, anbieten. Das ist allerdings nicht ganz so einfach, weil die Erschließungssysteme normalerweise getrennt werden müssen. Aber ich finde das erstmal einen ziemlich guten Anfang. Können Sie Beispiele nennen, die Sie für gelungen und vorbildlich halten? Das ist schwierig. Ich spreche mal lieber von den eigenen Hoch- häusern, was ich da gut oder vorbildlich finde. Wichtig ist Nachhaltigkeit und die Frage von Aufenthaltsqualität in Hochhäusern. Wir haben schon 1999 mit der GSW in Berlin eine Entwicklung vorangetrieben, bei der es um natürliche Belüftung von Hochhäusern geht. Das ist keine Selbstver- ständlichkeit, denn wenn man über die Höhe von 20 oder 25m hinausgeht, herrschen ganz andere Windverhältnisse. Das GSW-Haus ist 80 m hoch. Wenn man trotzdem eine natürliche Belüftung erzielen möchte, muss man sich etwas überlegen. Das haben wir getan und später in Frankfurt beim CUBE: Sowohl in Berlin als auch inMünchen gibt es eine neu entbrannte Hochhausdebatte. Wenn man Hochhäuser als Merkmal einer moder- nen Stadt betrachtet, sind wir in Deutschland extrem rückständig. Woran liegt das? Matthias Sauerbruch: Traditionell sind es erstmal die Kirchtürme, die über die Silhouette der Stadt hinausragen, dann vielleicht noch die Verteidigungsanlagen aus demMittelalter oder – wie etwa diese Geschlechtertürme in San Gimignano – Symbolbauten, umMacht zu de- monstrieren. Eine Art vonWettrennen in die Höhe, wer hat mehr Macht, mehr Einfluss, da gibt es viele Beispiele. Wie am Potsdamer Platz, wo bei Renzo Piano, Hans Kollhoff und Helmut Jahn jeweils ein Geschoss den Unterschied ausmacht. Natürlich hat es stark mit der technologischen Entwicklung zu tun, die es überhaupt erst ermöglichte, hohe Häuser zu bauen. Es gibt eigentlich keinen Grund, weder in München noch in Ber- lin, Hochhäuser zu bauen. Wenn man die Frage stellt, was ein Hochhaus heute eigentlich in diesen Städten bieten kann, ist die Antwort, dass sie in allererster Linie stadtkompositorische Akzente setzen. In München wird noch darum gekämpft, Standorte zu definieren, und in Berlin diskutiert man über solche stadtkompositorischen Argumente. Was wurde imneuen Berliner Hochhausleitbild festgelegt? Es zeichnet sich dadurch aus, dass es keine Standorte festlegt, und das halte ich auch für eine kluge Entscheidung, denn es verhindert wilde Grundstücks- spekulationen. Das Grundprinzip ist, dass jedes Projekt nach einem be- stimmten Kriterienkatalog betrachtet werden soll. Dazu gehört, dass das Grundstück gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sein und Matthias Sauerbruch Matthias Sauerbruch ist Architekt und Partner von Sauerbruch Hutton. Neben seiner Tätigkeit als praktizierender Architekt war er Professor an der TU Berlin, der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, an der Harvard Graduate School of Design und an der Universität der Künste Berlin. Sauerbruch ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und gehört der StadtgestaltungskommissionMünchen und demVorstand des KW Institute for Contemporary Art Berlin an. Er ist Honorary Fellow des American Institute of Architects und Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste, Berlin. Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch gründeten 1989 ihr Büro Sauerbruch Hutton mit Sitz in Berlin. Das Büro ist international tätig und zählt zu den wichtigsten Vertretern des nachhaltigen Bauens. Seit 2020 wird die Verantwortung für das Büro von 19 Partnern und 10 Assoziieren geteilt. © Kalle Koponen INTERVIEW HOCH HINAUS? DAS IST HIER DIE FRAGE Brauchen Berlin und München dringend Hochhäuser? – Pros & Cons von Matthias Sauerbruch Fotos: Jan Bitter

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