CUBE - REAL ESTATE SPECIAL 2019

8 Wird die derzeitige Ausbildung von Architekten und Ingenieuren an Hochschulen und Universitäten den Herausforderungen an klimage- rechtes und nachhaltiges Bauen gerecht? Ist diese Trennung überhaupt noch zeitgemäß? Nein, diese Trennung ist sicher nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis aller in der Verantwortung für das Gebaute ste- henden Planer. Und wir müssen uns gemeinsam die Frage stellen, wohin sich das Bauen in der Zukunft eigentlich entwickeln soll. Diese Frage ist die Frage nach der Zukunft selbst. Natürlich ist ein Nach-Vorne-Denken immer mit dem Risiko des Irrens, des Scheiterns verbunden – aber ohne diese Möglichkeit des Irrtums kann es auch keine Bewegung nach vorne geben, verharrt man immer auf gleichem Terrain. Der Philosoph Hegel fasste dies sehr gut mit seiner Aussage zusammen, dass die Angst vor dem Irrtum bereits der Irrtum selbst sei. Essenziell für das Skizzieren der gebauten Welt von morgen ist eine nüchterne Bestandsaufnahme globaler Trends von heute. Es geht zum einen darum, herauszufinden, welche die technischen Konstituenten und welche die gesellschaftlichen Konstituenten dieser Zukunft sind, die sich heute bereits abzeichnen. Will man daraus Rückschlüsse auf die Aufgaben von Bauingenieuren und Architekten ziehen, muss man zum anderen herausfinden, wer diese Zukunft konzipiert. Ob sie überhaupt jemand konzipiert – oder ob wir sie einfach so entstehen lassen als Abfolge einzelner, in sich vielleicht noch überlegter Schritte, nicht jedoch als überlegtenWeg, der durch die Summe von Schritten entsteht. Denn nur wenn diese Zukunft bewusst gestaltet wird, können wir nach unserer eigenen Rolle darin Ausschau halten. CUBE: Herr Prof. Dr. Sobek, Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigemBauen, sowohl in Forschung und Lehre als auch praktisch in weltweit realisierten Projekten. Bereits im Jahr 2000 haben Sie Ihr eigenes Wohnhaus (Foto oben) modular, energieautark, emissionsfrei und komplett recyclebar erbaut. Das deutsche Bauwesen scheint von einem solchen holistischen Ansatz noch weit entfernt. Liegt das an unseren Bauordnungen, die technischen Entwicklungen und wissen- schaftlichen Erkenntnissen hinterherhinken? Prof. Dr. Werner Sobek: Es gibt sicher viele unterschiedliche Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Die Kleinteiligkeit der Branche, die langen Lebens- zyklen, die strikte Trennung von Planung und Ausführung etc. Letztlich liegt es aber vermutlich auch stark an den Beharrungskräften von seit langem eingespielten Prozessen. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel – und müssen hierfür die erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Der Markt allein kann und wird es nicht richten. Der Markt ist zwar ein sich selbst organisierender Prozess kollektiven Handelns, er ist aber an keinem kollektiven Ziel orientiert und hat als solcher weder Moral noch Gewissen. Die Gesellschaft selbst muss wissen, was sie will – und der Gesetzgeber hat diesen Willen in Zielvorgaben abzubilden und um- zusetzen. Gleichzeitig sollte er aufhören, die anzuwendenden Methoden anstatt die zu erreichenden Ziele vorzuschreiben. Wie Architekten und Ingenieure die gesamtgesellschaftlich entwickelten Ziele erreichen, soll- te deren Innovationskraft überlassen bleiben. Man muss den Menschen die Freiheit lassen, die für ihren Verantwortungsbereich jeweils besten Werkzeuge und Methoden zu entwickeln. Prof. Dr. Werner Sobek ist Architekt und beratender Ingenieur. Er leitet das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart und lehrt an zahlrei- chen Universitäten im In- und Ausland. Seit 2017 ist er Spre- cher des Sonderforschungsbe- reichs über „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“. Die Werner Sobek Group ist ein weltweit tätiger Verbund von Planungsbüros für Tragwerks- und Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsberatung und Design, deren Arbeiten sich durch hochwertige Gestaltung und ausgeklügelte Konzepte zur Minimierung von Energie- und Materialverbrauch auszeichnen. Werner Sobek ist Gründer und Präsident mehrerer gemeinnütziger Initiativen. © Zooey Braun, Stuttgart © A.T. Schaefer, Stuttgart INTERVIEW 800 TONNEN PRO SEKUNDE Ein Gespräch über Baustoffe, Beharrungskräfte und Bewusstseinswandel

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