Kür für die Architektur: Freespace
Die 16. Architekturbiennale in Venedig plädiert für menschenfreundliche Architektur
Paolo Baratta, Präsident der „Biennale di Venezia“ ist bekannt für seine überraschende Wahl für das Kuratorium der Architekturbiennale. Diesmal fiel die Wahl auf die beiden Irinnen Shelley McNamara und Yvonne Farrell. Ihr in Dublin ansässiges Büro Grafton Architects hatte in Italien zuletzt mit dem Beton-brut-Gebäude der Luigi Bucconi-Universität in Mailand Furore gemacht. Für die Architekturbiennale 2018 wählten sie das Motto „Freespace“. Gemeint ist, so die Kuratorinnen, in jedem Projekt zusätzliche und unerwartete Großzügigkeit zu finden. „Freespace ermutigt dazu, neue Sichtweisen auf die Welt zu entwickeln und Lösungen zu finden, bei denen die Architektur für das Wohlergehen jedes einzelnen Bürgers dieses fragilen Planeten sorgt.“, heißt es in ihrem Manifest. Ein im Grunde politischer Ansatz – wenn auch beliebig dehn- und ausdeutbar …
In den „Giardini“ und im „Arsenale“ herrscht wie immer hektisches Gedränge. Die eigentliche „Freespace“-Schau findet in der „Corderie“ auf dem Arsenale-Gelände statt. Besonders bemerkenswert sind die Arbeiten der Architektin Dörte Mandrup/Dänemark, von Francis Kéré/Burkina Faso und von Marina Tabassum/Bangladesch. Sauerbruch Hutton zeigen mit ihrem jüngsten Werk, dem Museum M9 in Mestre, einen eindrucksvollen deutschen Beitrag.
In den Giardini bildet sich eine Schlange vor dem Schweizer Pavillon. Er errang diesmal den Goldenen Löwen, den ersten Preis für den besten Länderbeitrag mit dem Titel „House Tour“. Sie zeigt humorvoll maßstabs-entgleiste Fenster, Türen, Armaturen zum Bücken oder Strecken, um ins nächste Kabinett zu gelangen. Monstertüren und Puppenstuben-Türchen sollen darauf verweisen, dass wachsende Interessen architektonischer Innenraumgestaltung noch viele neue kreative Lösungen beinhaltet.
Die Mauer zwischen beiden Teilen Deutschlands ist nun genau so lange verschwunden wie sie stand. Dies nehmen die Kuratoren des deutschen Pavillons, Marianne Birthler und das Trio von Graft, zum Anlass, auf diese Symmetrie hinzuweisen. Mit ihrer Schau „Unbuilding Walls“ listen sie auf, wie viele Gedenkstätten es entlang der einstigen Mauer gibt, um die Wiedervereinigung zu feiern. Schwarze Stelen aus Kunststoff wachsen scheinbar aus dem Boden und sind versetzt zueinander angeordnet. Auf deren Rückseite liest und sieht man die Veränderungen seit dem Mauerfall.
Für das Inselvolk der Briten verwandelten Architekt Caruso St. John und der Künstler Marcus Taylor den britischen Pavillon in einen „open space“. Das Gebäude ist im Inneren vollkommen leer. Auf dem Dach hingegen bauten sie eine Plattform zwischen den Baumkronen, genannt „Island“. Dies stehe für Abbruch, Wiederaufbau, Isolation – und somit auch für den Brexit, erläutern die Kuratoren.
Thoughts Form Matter heißt der österreichische Beitrag. Ein Plädoyer für die Macht der Architektur und für die Freiheit, Räume zu schaffen, die von funktionalen und ökonomischen Zwängen unbeeinträchtigt sind.
Es gäbe noch unendlich viel zu berichten, z. B. dass der Vatikan zum ersten Mal mit vertreten ist – mehr hat man jedoch davon, wenn man sich selbst auf den Weg macht – noch bis 26. November in Venedig.
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