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Ich kam aus dem Nichts ...

Ein Gespräch mit Daniel Libeskind über Stadthäuser, Heizungsradiatoren und ein bisschen Trump

CUBE: Herr Libeskind, kommen Sie noch oft nach Deutschland? Daniel Libeskind: Ich hätte nie... mehr

CUBE: Herr Libeskind, kommen Sie noch oft nach Deutschland?
Daniel Libeskind: Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so sein wird, aber Deutschland ist zu einem Teil meines Lebens geworden. Das hat auch familiäre Gründe – mein Sohn lebt in Berlin mit seiner deutschen Frau und meinen Enkelkindern. Aber auch berufliche Entwicklungen stehen natürlich dahinter: Mein erster Bau war das Jüdische Museum in Berlin, ich hatte fast 15 Jahre mein Büro hier. Neben New York und Tel Aviv ist Berlin heute einer der wichtigsten Fixpunkte in meinem Leben.

Waren Sie auch am Anfang so euphorisch, als sie einige Monate vor dem Fall der Mauer beschlossen, ihr Büro nach Berlin zu verlegen?
Im Gegenteil, es war anfangs sogar sehr schwierig für mich! Ich bin mit ganz anderen Gefühlen dort hingegangen. Vor allem der dunkle Schatten der Geschichte, der über der Stadt hing, machte mir den Umzug nach Berlin überhaupt nicht einfach. Viele Verwandte konnten überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich ausgerechnet nach Deutschland ging – der Holocaust war sehr präsent. Aber wissen Sie, was ich während meiner Berliner Jahre gelernt habe? Mir ist dort klar geworden, wie wichtig es ist, seine eigenen Vorurteile zu überwinden, sich weiter zu entwickeln, neue Welten zu entdecken – keine Welt der Geschichte, sondern wirkliche Zukunftswelten!

Berlin war der Ort, wo ihr erstes Gebäude realisiert wurde. Was bedeutete der Bau des Jüdischen Museums für Sie damals?
Das war alles andere als eine einfache Geschichte nach der Art: „Du gewinnst einen Wettbewerb und nun wird alles so gebaut.“ Im Gegenteil: Der Planungs- und Bauprozess nach dem Wettbewerb war extrem langwierig und problematisch. Vor allem politisch war alles fast undenkbar – hätte es eine Volksabstimmung zu dem Projekt gegeben, hätten wahrscheinlich 99 Prozent mit „Nein“ gestimmt! (lacht). Man brauchte schon sehr viel Glück und politisches Geschick!

Und das Bauen selbst – war das eine ganz andere Erfahrungswelt für Sie? Vorher hatten Sie ja eigentlich nur über Architektur geschrieben, wunderbare Collagen angefertigt, Ausstellungen organisiert ...
Ich bin jemand, der in in seinem Leben nie in einem anderen Architekturbüro arbeiten wollte als seinem eigenen. Ich bin immer meinem eigenen Weg gefolgt, aber ich glaube, es war von Anfang an ein Weg der Architektur.

Stört es Sie eigentlich, dass die Leute immer sofort an Ihr Jüdisches Museum denken, wenn Sie Ihren Namen hören?
Das ist geradezu unvermeidlich! Sehen Sie, normalerweise beginnen Architekten ihre Karriere ja immer mit kleineren Aufträgen und steigern sich dann zu Größerem. Bei mir war das ganz anders – ich bin wie aus dem Nichts gekommen, als ich das Jüdische Museum entworfen habe. Auch deshalb sehe es bis heute als eine Art schicksalhafte Fügung an, die mich zum Architekten dieses Gebäudes gemacht hat.

Viele Ihrer späteren Bauten orientieren sich dennoch stark an der Formensprache des Jüdischen Museums. Warum versuchen Sie bis heute, allen Bauaufgaben diese besondere formale Signatur zu geben?
Architektur ist für mich eine interdisziplinäre Disziplin – eine Kunstform, die komplexe Bezüge zur Philosophie, zur Literatur, zur Musik und Bildenden Kunst unterhält, aber auch zur Wissenschaft, zur Ökologie, zur Ökonomie der Arbeit. Es sind genau diese Bezüge, die ich immer wieder versuche in meiner Formensprache auszudrücken.

Wenn wir bei der Musik bleiben – Sie sind ja auch ausgebildeter Musiker – gibt es da etwas, was die architektonische und die musikalische Komposition verbindet?
Sehr viel sogar. Beide können manchmal sehr lange brauchen, bis sie sich konkretisieren und zur Ausführung gelangen. Nehmen Sie Johann Sebastian Bach! Bachs Musik war für über ein Jahrhundert völlig vergessen – erst seine Wiederaufführung durch Mendelssohn-Bartholdy hat dazu geführt, dass er wieder auferstand und zu den größten Komponisten aller Zeiten wurde. So ähnlich ist es auch mit der Architekturzeichnung. Der Architekt Piranesi hat in seinem Leben nur eine kleine Kirche gebaut, aber er hat Zeichnungen entworfen, in denen er Aspekte der modernen europäischen Stadt vorausgedacht hat. Architektur ist nicht nur das Gebaute, sondern auch immer das Ungebaute und Noch-nicht-Gebaute!

Zeichnen Sie Ihre Ideen eigentlich noch selbst – oder erledigt das mittlerweile blindlings der Computer?
Bei jedem Projekt ist die Handzeichnung der unmittelbare Ausgangspunkt. Er ist das Tool, mit der sich für mich eine poetische Idee am besten fassen lässt, und damit meine ich nicht nur eine Anmutung, sondern wirklich auch eine Bedeutung – eine Zukunftsidee. Der Computer kommt erst danach ins Spiel: Er hilft mir dabei im festgelegten Zeit- und Budgetrahmen zu planen.

In Frankfurt entwerfen Sie für eine Siedlung am Riedberg Stadthäuser, in Berlin haben Sie mit dem „Sapphire“ gerade ein zweites Gebäude in der Hauptstadt realisiert. Was ist die Herausforderung bei solchen Wohnbauten?
Wie kreiert man Apartments, die wirklich von innen nach außen durchgestaltet sind, sodass jede Wohnung – und sei sie auch noch so klein – tatsächlich am Außenraum partizipiert? Das ist die Herausforderung, aber auch für die Nachbarschaft sollte immer etwas Schönes und Einzigartiges dabei entstehen. Apartments sind vielleicht ein eher prosaisches Programm – ich mag aber diesen vordefinierten Rahmen als Herausforderung, mir Freiheiten zu nehmen und dabei neue Dinge zu erfinden.

Sie feilen also nicht nur an Außenfassaden?
Oh nein, ich bin wirklich kein Anhänger von so einer reinen Fassadenarchitektur! Die Apartments im „Sapphire“ sind einzigartig – in ihrem Zuschnitt, in ihrer Weise, wie sie das Licht hineinlassen. Das Grundstück ist vielleicht aus dem 19. Jahrhundert, meine Grundrisse sind aber alles andere als 19. Jahrhundert!

Trotzdem ist die Fassade bei dem Projekt ja nicht ganz unwichtig.
Beim „Sapphire“ haben wir mit dem italienischen Hersteller Casalgrande eine Fassadenfliese entwickelt, die nicht nur gut aussieht, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Umwelt hat. Wir haben den Terrakotta mit Titanoxid beschichtet – damit lässt sich das CO2 in der Luft in Sauerstoff umwandeln und mehr noch: Die Fassade reinigt sich selbst, bekommt eine hohe Nachhaltigkeit.

Auch im Bereich des Produktdesigns arbeiten Sie mit verschiedensten Firmen zusammen – Wandverkleidungen, Türdrücker, sogar Heizungsradiatoren werden nach ihren Entwürfen gefertigt.
Radiatoren wurden einmal im 19. Jahrhundert als Maschinen entwickelt, um Wärme zu verbreiten. Ich denke aber, sie sind auch visuelles Objekt und Teil einer Alltagsumgebung. Ich bin wirklich kein erklärter Anhänger der Gesamtkunstwerk-Bewegung, aber ich denke immer, bevor ich etwa einen Türknauf aus dem Katalog aussuche, möchte ich ihn doch lieber selbst entwerfen! Schließlich wird man ihn doch als Bewohner auch jeden Tag anfassen. Warum sollen an bestimmten strategischen Punkten im Innenraum die Ideen des Architekten nicht nachhallen dürfen?

„Sapphire“ ist ein maßgeschneidertes Wohnkonzept für Menschen im oberen Einkommenssegment. Können Architekten überhaupt etwas dazu beitragen, dass die soziale Mischung in europäischen Städten erhalten bleibt?
Architekten haben – ob sie wollen oder nicht – da überhaupt keine Handhabe. Allein Politiker und Stadtregierungen können heute noch versuchen, die soziale Balance in den Innenstädten wieder in den Griff zu bekommen. Dafür braucht man Gesetze, die klar vorschreiben, wie viel Prozent der Fläche bei Neubauten geförderten Wohnraum bieten müssen. Dem Markt das weiter zu überlassen, wäre fatal – Kapital allein hat noch nie Gemeinwohl, humane Lebensbedingungen oder auch nur Schönheit hervorgebracht!

Muss denn dann mehr Bürgerbeteiligung in unserer Städten stattfinden?
Bürger sollten noch stärker einbezogen werden. Der Philosoph Aristoteles hat einmal geschrieben: Ein guter Bürgermeister kennt jeden seiner Bürger. Das war natürlich machbar im antiken Athen – aber auch heute ist das möglich durch all die technologischen Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Denken Sie nur an meinen Masterplan für Gound Zero – mein Projekt wurde nur durch die öffentliche Meinung durchgesetzt, gegen die Auffassung der meisten lokalen Behörden. Ich glaube die Menschen sind nicht dumm, sie können sich sehr wohl mit Fragen der Stadtentwicklung auseinandersetzen und wissen auch zu unterscheiden.

Sie haben bei Ihrem Projekt für Ground Zero auch Bekanntschaft mit Donald Trump machen können, der mehrfach einen Gegenvorschlag machte: Wiederaufbau der Twin Towers, bloß eine Nummer stabiler und höher.
Jeder hat das Recht zu partizipieren (lächelt). Es war aber nur eines von tausend Alternativprojekten.

Trump bezeichnete Sie damals als einen „Eggheaded architect“ – einen „Eierkopf-Architekten“.
Stimmt, aber das kann nun wirklich sehr viel heißen, oder? Vielleicht war es noch nicht einmal negativ gemeint? Manchmal ist es einfach besser etwas mehr nachzudenken als weniger nachzudenken! (lacht anhaltend amüsiert) – Ich glaube, dass mein Projekt am Ende jenes war, dass von den Menschen akzeptiert wurde. So viele sind nach Jahren der totalen Leere und Entvölkerung von Lower Manhattan dort wieder hingezogen – das war der beste empirische Beweis!

Sie haben den Masterplan für Ground Zero entworfen samt des Memorials, das den Footprint der Twin Tower nachzeichnet. Können Sie sich auch mit der Architektur der neuen Türme anfreunden?
Architektur spielte bei meinem Masterplan keine Rolle – ich habe mich darauf beschränkt der Dirigent im Hintergrund zu sein, der den Zuhörern noch nicht einmal sein Gesicht zeigt. Ich habe den verschiedenen Musikern, die mit ihrer Architektur Ground Zero bespielen nur den Rahmen geschaffen, mit größtmöglicher Freiheit ihre eigene Performance zu entwerfen.

Trotzdem hat das 1WTC am Ende die Höhe bekommen, die Sie für Ihren Freedom Tower vorgesehen hatten – 1776 Fuß. Ein heimlicher Erfolg?
Mit dieser Zahl wollte ich an die Unabhängigkeitserklärung von 1776 erinnern, die als das Gründungsdokument universaler Menschenrechte gilt. Heute können Sie das nicht mehr ignorieren, wenn Sie auf die Skyline von Manhattan schauen. Selbst der Trump Tower wird diese Marke immer vor Augen haben!

Herr Libeskind, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Paul Andreas.

Daniel Libeskind geboren 1946 in Łódź/Polen ist ein US-amerikanischer Architekt und... mehr

Daniel Libeskind

geboren 1946 in Łódź/Polen ist ein US-amerikanischer Architekt und Stadtplaner. Er emigrierte mit seiner Familie 1960 in die USA über und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Nach einem Musikstudium in Israel und New York war er zunächst als Musiker tätig. Er wechselte bald zur Architektur und schloss 1970 das Architekturstudium an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York City ab. Es folgte 1972 ein Master-Studium in Architekturgeschichte und -theorie an der School of Comparative Studies an der University of Essex. Von 1978 bis 1985 war Libeskind Dekan der Architekturfakultät der bekannten Cranbrook Academy of Art in Bloomfield Hills, Michigan. Er erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden. 1989 gründete er sein Architekturbüro „Studio Daniel Libeskind“ in Berlin, wo er den Wettbewerb für das Jüdische Museum gewann. 2003 verlegte er den Hauptsitz des Büros nach New York City, wo er heute lebt und arbeitet.

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