Die Architektur im Fokus
Die Architekturfotografen Petra Wittmar und Ulrich Deimel im Gespräch
CUBE: Frau Wittmar, Herr Deimel, wie sind Sie eigentlich zur Fotografie – speziell zur Architekturfotografie – gekommen?
P. WITTMAR: Ich habe mich schon in meiner fotografischen Lehrzeit mit Architektur beschäftigt. Ich hatte glücklicherweise einen Lehrherrn, der auch große und überregionale Architekturaufträge durchführte. Mein Gesellenstück habe ich über Wilhelm Seidenstickers seinerzeit hypermoderne Volkshochschule an der Hollestraße in Essen gemacht, die ja heute traurig auf ihren Abriss wartet. Da war übrigens Ulrich Deimel schon als “Assistent” mit von der Partie. Auch meine Abschlussarbeit an der Folkwangschule/Universität Essen war ein architekturbezogenes Thema.
U. DEIMEL: Bei mir kam das Interesse an Architektur eher über die Beschäftigung mit der Literatur und der Bildenden Kunst während des Studiums. Wenn man sich mit den Künsten befasst, kann man ja die Architektur ebenso wenig ignorieren wie etwa die Musik. Und durch Petra Wittmar kam dann natürlich auch das theoretische und praktische Interesse an der Fotografie dazu.
CUBE: Welche besonderen Anforderungen werden an einen Architekturfotografen/in gestellt?
P. WITTMAR: Zunächst einmal muss sie/er natürlich das Handwerk beherrschen. Das Handwerkliche ist allerdings im Zuge der Digitalisierung sehr weitgehend in die Software eingegangen und viele Qualifikationen, die man sich früher über Jahre erwerben musste, werden heute von den Programmen zur Verfügung gestellt, so dass es für jedermann recht einfach geworden ist, ein irgendwie brauchbares Architekturfoto zu machen. Die eigentlichen Anforderungen fangen aber hier erst an. Architektur, ich meine anspruchsvolle Architektur, ist ja ein komplexes künstlerisches Gebilde, das in einem Dialog steht, nicht nur mit den konkreten Bedingungen des Ortes, sondern auch mit der Geschichte der Architektur und den zeitgenössischen Standards der Künste ganz allgemein. Von diesem Zusammenhang muss man als Fotograf schon etwas verstehen, um eine angemessene Arbeit abzuliefern.
CUBE: Was zeichnet Ihrer Meinung nach hervorragende Architekturfotografien aus?
U. DEIMEL: Das kann man so abstrakt gar nicht beantworten. Wenn es sich um Auftragsfotografie handelt, muss man den Zweck der Aufnahmen berücksichtigen. Je besser sie ihren Zweck erfüllen, um so besser sind sie auch objektiv. Will man einen räumlichen Zusammenhang dokumentarisch, möglichst nüchtern, präzise und nachvollziehbar darstellen, sind Fotos, die dem nicht genügen, fehl am Platz, auch wenn sie noch so “künstlerisch” daherkommen. Soll eine Atmosphäre, eine Stimmung, die Ausstrahlung eines Materials usw. festgehalten und bildlich transportiert werden, gelten andere Kriterien. Hervorragende Architekturfotos sind oft solche, denen beides gleichzeitig gelingt.
CUBE: Welchen Reiz hat das Ruhrgebiet und seine Architektur auf Sie als Fotografen?
U. DEIMEL: Die Qualität und die Vielfalt der Architektur im Ruhrgebiet sind seit der IBA Emscher in einem Maß gewachsen, wie wir uns das vor 20 oder 30 Jahren gar nicht vorstellen konnten. Das ändert wenig daran, dass die Alltagsarchitektur, also das, was einem auf Schritt und Tritt begegnet, von einer Banalität und Tristesse ist, die ein empfindliches Sensorium andauernd auf eine harte Probe stellt. Das ist durchaus ein Reiz, aber kein positiver. Man kann das als Fotograf verarbeiten und sich ein Stück weit vom Leib halten, wenn man es kritisch dokumentiert. Petra Wittmar unterzieht sich dieser Mühe in einem eigenen Projekt seit vielen Jahren. Ein positiver Reiz des Ruhrgebiets sind für uns die bei näherem Besehen gar nicht so seltenen Einsprengsel gelungener historischer Architektur, die ein Außenstehender hier nicht unbedingt vermuten würde. Mit diesem Thema beschäftigen wir uns, so oft unsere Zeit es erlaubt, und wir sind immer wieder überrascht und erfreut, auf welch kostbare Dinge man bei einer solchen Spurensuche stößt.
CUBE: Welche Ihrer Architekturfotografien halten Sie für besonders gelungen und warum?
U. DEIMEL: Gut finden wir das Bild mit dem gelben Quadrat aus dem Treppenhaus des Hans-Sachs-Hauses in Gelsenkirchen, das wir 1997 für unsere Serie zur Architektur der 20er-Jahre in NRW aufgenommen haben. Es ist einerseits eine kompakte und in sich geschlossene Komposition, die für uns etwas Zwingendes hat. Andrerseits ist es, in unseren Augen, eine Verdichtung der kulturgeschichtlichen Bezüge, die hinter dem Bild stehen. Das Bild hat etwas von einer De Stijl-Komposition und erinnert daran, dass Max Burchartz, der Entwerfer der Farbgestaltung im Hans-Sachs-Haus, in vielfältiger Weise nicht nur mit dem Bauhaus, sondern auch mit der De Stijl-Bewegung verbunden war. So ragen diese so ungemein bedeutenden künstlerischen Bestrebungen der 20er-Jahre hinein in eine kleine graue Stadt im Ruhrgebiet: Ist das nicht charmant? Das ist ebenso charmant wie der Umstand, dass das Hauptwerk des berühmten Yves Klein nicht etwa im MOMA in New York hängt, sondern im Musiktheater in Gelsenkirchen.
CUBE: Welches Gebäude möchten Sie unbedingt einmal ablichten?
U. DEIMEL: Josef Hoffmanns Palais Stoclet in Brüssel, aber es ist seit langem und wohl auf absehbare Zeit unmöglich, dort hineinzukommen. Ein zweiter Traumort ist Palladios Teatro Olimpico in Vicenza: Dort würden wir seit langem gerne mal fotografieren, und, wie es aussieht, werden wir das im nächsten Frühjahr auch machen.
CUBE: Wer sind in der Regel Ihre Auftraggeber: Architekten, Bauherren, öffentliche Auftraggeber?
P. WITTMAR: Das verändert sich mit den Jahren. Früher haben wir viel für öffentliche Auftraggeber, große Firmen und Architekturbüros gearbeitet. Das tun wir auch heute noch, aber der Schwerpunkt hat sich mehr auf die hochwertigen internationalen Printmedien verlagert. Hier bearbeiten wir glücklicherweise meistens Themen, die sehr nahe an unseren eigenen sachlichen und historischen Interessen liegen. Ein weiterer wichtiger Auftraggeber waren und sind natürlich wir selbst: Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir mit eigenen Projekten, die wir in Ausstellungen präsentieren, in Büchern veröffentlichen und die als einzelne Exponate oder als Serie von Sammlern oder Sammlungen erworben werden.
CUBE: Was waren beruflich bislang Ihre größten Erfolge?
P. WITTMAR: Das war vielleicht die Einladung zur Teilnahme an der Architekturbiennale in Vernedig im Jahr 1996, weil sie genau mit dem 10-jährigen Bestehen unserer Arbeitsgemeinschaft zusammenfiel und für uns eine gewisse Bestätigung auch auf internationalem Parkett darstellte. 1996 wurden ja zum ersten Mal in der Geschichte der Architekturbiennale auch Fotografen zur Präsentation eingeladen, und wir fanden es doch sehr schön, dort gemeinsam mit Größen wie Julius Shulman oder Margherita Spiluttini ausstellen zu können.
CUBE: Haben Sie einen Lieblingsarchitekten? Ein Lieblingsgebäude?
U. DEIMEL: “Lieblingsarchitekt” klingt in meinen Ohren ein bisschen verhübschend. Aber es gibt einen Architekten, den wir besonders schätzen: Le Corbusier. Bei ihm hat man das Gefühl, dass der Begriff “Baukunst” seine Berechtigung hat. Er war im 20. Jahrhundert gewiss eine der stärksten künstlerischen Potenzen in Europa. Nicht von ungefähr war er auch ein ausgezeichneter Maler und ein brillanter Schriftsteller. Dass er dem Größenwahn nicht fernstand und fatale stadtplaneriche Utopien entworfen hat, muss man wohl bei einem Mann dieses Formats in Kauf nehmen.
P. WITTMAR: Beim “Lieblinggebäude”würde ich mich der Übersichtlichkeit halber lieber auf auf die zeitgenössische Architektur und unser unmittelbares Umfeld beschränken, und da ist es eindeutig das Magazin des Hauses der Essener Geschichte.
CUBE: Seit 1986 fotografieren Sie gemeinsam. Worin unterscheiden Sie sich und wo ergänzen Sie sich?
P. WITTMAR: Es gibt Unterschiede im ästhetischen Temperament. Wenn wir gemeinsam fotografieren, und das ist ja meistens der Fall, sind wir oft zunächst nicht einer Meinung. Dann wird diskutiert und überlegt, und irgendwann ergibt sich dann ein Foto, das wir beide gut und “richtig” finden. Dieses Procedere kann wirklich auf die Nerven gehen, aber eine solche, im Grunde ständig beiherlaufende gegenseitige Beeinflussung ist unterm Strich durchaus produktiv, und ich bin überzeugt davon, dass es der Qualität der Arbeit zugutekommt. Man wird so - hoffe ich jedenfalls - davon abgehalten, einfach nur seinen Stil runterzuziehen und “Dienst nach Vorschrift” zu machen.
Frau Wittmar, Herr Deimel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Manuela Gravius.
Petra Wittmar wurde 1955 in Medebach im Hochsauerland geboren. Sie studierte Fotografie an der Folkwangschule/Universität Essen. Ihren Abschluss machte sie 1983 mit einer dokumentarischen Studie zur Architektur der Provinz.
Ulrich Deimel wurde 1952 in Medebach geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Essen.
1986 gründeten Petra Wittmar und Ulrich Deimel ein Büro für Architekturfotografie in Essen. Seither haben sie zahlreiche Aufträge in ganz Europa durchgeführt. Sie zählen zu den renommiertesten Vertretern ihres Fachs. Petra Wittmar und Ulrich Deimel verfolgen neben ihrer Auftragsfotografie langfristig angelegte Projekte zur europäischen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere der zwanziger Jahre. Petra Wittmar arbeitet in eigenen Projekten an der Dokumentation urbaner und suburbaner Strukturen. Die Arbeiten von Petra Wittmar und Ulrich Deimel wurden in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland präsentiert.
www.deimel-wittmar.de