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Zukunft Einkaufen?

Der EInzelhandel wird immer urbaner und differenziert sich in seiner Architektursprache aus

„Man nehme 40 Hektar eines geeigneten ebenen Grundstücks, umgebe es mit 500.000 Konsumenten,... mehr

„Man nehme 40 Hektar eines geeigneten ebenen Grundstücks, umgebe es mit 500.000 Konsumenten, denen keine anderen kommerziellen Einrichtungen zur Verfügung stehen, garniere das Ganze mit 10.000 Parkplätzen und stelle sicher, dass das Zentrum über ausgezeichnete, wenig befahrene Schnellstraßen erreichbar ist. Zum Schluss dekoriere man das Ganze mit Sträuchern, einer Blumenrabatte und einer kleinen Skulptur und serviere es dem Kunden heiß“, so beschrieb 1963 der Österreich-Amerikaner Victor Gruen die Shopping Mall, die er 1956 erstmals mit dem Southdale Center in Edina/Minnesota umsetzen konnte.

Gruens Rezeptur, mit der er ureigentlich Urbanität nach europäischem Muster in den bis dahin leblosen amerikanischen Suburbs erzeugen wollte, wurde schnell von Investoren übernommen und zu einem mit ihren Chain-Stores massenhaft multiplizierten, global exportierten Gebäudetypus zurechtgestutzt. Wobei die ganz großen Renditeerwartungen viele von den urbanen Ideen, die Gruen vorschwebten, schnell unter sich begruben: Die Quittung bekommen die Städte, die sich darauf einließen, heute massiv nicht nur in den USA zu spüren: So drohen viele der in den 1960/1970er Jahren entstandenden Malls zu verelenden, weil man seinerzeit an öffentlicher Aufenthalts- und Architekturqualität gespart hat.

Die grosse Renaissance der Städte, die den Citys der europäischen Großstädte spätestens seit den 1990er Jahren wieder Wachstum bringt, ist nicht nur eines Renaissance des Wohnens – es ist auch eine Renaissance des Handels in der Stadt und einer bewußter und erlebnishafter gestalteten Shopping-Architektur. Die Innenstadt ist für den zurückgekehrten Handel mehr als nur ein Garant von hohen Passantenfrequenzen, sie bildet auch mit ihrer urbanen Durchmischung und ihrer Architekturkulisse das wichtige Hintergrundszenario für das Shopping. Die neuen Handelsarchitekturen, die sich jenseits des klassischen Kaufhauses, aber auch jenseits herkömmlicher Shopping Malls bewegen, greifen diesen Kontext geschickt auf: Etwa, indem sie die Innenhöfe, die sich hinter den Fassaden neuer oder alter Einkaufsstraßen befinden, wieder beleben und mit Shops versehen. Ob die im Bestand gestalteten Hackeschen Höfe in Berlin, die von Herzog de Meuron geprägten „Acht Höfe“ in München – oder die in noch deutlich größerem Umfang gerade eröffnete, komplett neu errichtete „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz – sie alle zeigen das deutlich. Mit ihren Shop-in-Shops, die durch nicht überdachte Passagen und Höfe mit Außenraumcharakter zusammen gehalten werden, greift die Architektur unmittelbar den urbanen Kontext auf.

In Anbetracht Jahr für Jahr steigender E-Commerce-Umsätze ist der Einzelhandel heute noch mehr als früher gefordert, über Absatzstrategien nachzudenken. Digitale und reale Welten miteinander verknüpfende Multichannel-Konzepte liefern dazu wichtige strukturelle Antworten – aber auch ein zielgruppenaffineres Sortiment trägt seinen Teil dazu bei, dass die Kaufanreize im realen Raum nicht schwinden. Dazu gehört auch eine weiter voranschreitende Ausdifferenzierung der Architektur: Kaufhäuser, die ein größeres Sortiment abdecken, haben zumindest in den Großstädten heute die besten Chancen, entweder als Premium-Kaufhäuser – oder als Mischwesen aus Kaufhaus und Shopping-Zentrum. Wer wissen möchte, wie die Zukunft vieler deutscher Karstadt-Häuser aussehen könnte, der sollte sich das „Tyrol“ in Innsbruck vor Augen führen: Dort hat der Neu-Eigentümer der deutschen Warenhauskette, René Benko, 2010 hinter einer edlen Natursteinraster-Fassade von David Chipperfield einen neuen Publikumsmagneten geschaffen – wobei nur die profitabelsten Abteilungen des Kaufhauses im Verbund mit vielen Shops-in Shops in dem Komplex verblieben. Einen architektonisch ganz anderen Akzent setzt das Bikini Berlin: Hinter der denkmalgeschützten Fassade aus den 1950er Jahren und einer Aussichtsterrasse mit Blick über den Berliner Zoo entstand eine in ein dunkles Grün getauchte Concept Mall mit trendigen, aber eher unbekannten Markenboutiquen, die sich speziell an urbane Trendsetter richtet, mitunter mit temporärem Charakter: Modulare, aus Holz gezimmerte Boxen im Zentrum werden von jungen Berliner Designlabels bespielt. Auch der herkömmliche Supermarkt hat in den letzten Jahren wieder Konkurrenz bekommen von Einkaufsformen, die das Einkaufen als Erlebnis inszenieren: So ist ein gewisses Revival von Bauernmärkten und auch Markthallen zu beobachten. Eine interessante architektonische Lösung haben jüngst MVRD in Rotterdam dazu geliefert: Unter einem imposanten Pixelpop-Deckenfresko einer 40 Meter hohen Halle, die von Wohnungen überbaut wurde, haben über 100 Marktstände und Gastronomien Unterschlupf gefunden und buhlen um die Aufmerksamkeit der Besucher und Bewohner. Im Zusammenspiel von individuellen Shops und individueller Architektur kann Einkaufen also heute noch eine durchaus perspektivenreiche Zukunft haben – eine allgemeine Rezeptur, wie Victor Gruen sie vorschwebte, dürfte es dagegen kaum mehr geben.