Gelebte Räume
Der holländische Fotograf Iwan Baan schaut auf Architektur mit dem Blick fürs Ganze
Architekturfotografie ist die hohe Kunst, ein Gebäude fotografisch in Szene zu setzen. Klassischerweise ergeht es dabei den Gebäuden so, wie die Architektur- und Designtheoretikerin Janet Abrams es in einem Essay beschrieb: „Architekturfotografie bereitet den Betrachter nur auf die bestmögliche Bedingungen vor: auf das neugeborene, unberührte gleichermaßen wie das sauber von seiner Umgebung isolierte Gebäude – jener immer sonnenbadende Bau, der in seinen wärmsten Farben in die Kamera lächelt.“
Der 39-jährige Niederländer Iwan Baan gehört zu den Fotografen, die diese eingeübten Sehgewohnheiten durchbrechen. Vor einigen Jahren noch ein Nobody in der Szene, wurde er plötzlich durch seine Fotografien des Pekinger Olympia-Vogelnests bekannt, das bis 2008 nach dem Entwurf von Herzog de Meuron und Ai Weiwei realisiert wurde. Anstatt das Megaprojekt nach seiner Fertigstellung mit der Kamera einzufangen, reiste Baan schon während der Bauarbeiten an. Fotos, die die Schweizer Architekten faszinierten, zeigten die Bauarbeiter, die inmitten der verwobenen Rohbaustruktur des Nationalstadions kameradschaftlich um ein Lagerfeuer zusammensitzen – lange bevor die internationalen Sportfunktionäre und Chinas Politikerkaste das olympische Feuer entzündeten. Während seines Aufenthaltes in Peking fing Baan auch die Bauarbeiten an Rem Koolhaas’ ikonischem Bügelhochhaus CCTV ein – der holländische Architektenstar, der die Fotos in die Hände bekam, war so angetan, dass er Baan fortan mit weiteren Projekten betraute.
Und so ging es munter weiter: Selbst Zaha Hadid, die als Diva dynamischer Formen, Architektur- und Formfremdes auf ihren Fotos bis dato niemals duldete, ließ sich von ihm überzeugen: Anfangs wollte sie die morgendliche Müllabfuhr vor einem ihrer Museen noch wegretuschieren lassen, am Ende akzeptierte auch sie die Belebung und Veralltäglichung ihrer einzigartigen High-End-Ikonen.
Mittlerweile führt Iwan Baan eine vollnomadische Existenz: Seitdem seine Amsterdamer Wohnung vor zwei Jahren ausbrannte, verzichtet er freiwillig auf einen Wohnsitz und lebt nun ganzjährig aus dem Koffer. Ein rastloser Wanderer zwischen den Shootings, den Kontinenten und Lebenswelten. Dabei sind es nicht nur die gerade allerneuesten Gebäude der großen und kleineren Stars, die Baan mit dem Sucher seiner Kamera fixiert – eine große Faszination üben auf ihn auch improvisierte Architekturen aus, die Gemeinschaften einen temporären Halt bieten: 2012 wurde er auf der Architekturbiennale mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet für seine Dokumentation einer informellen Gemeinschaft, die sich das Rohskelett eines 45-geschossigen Wolkenkratzers im venezolanischen Caracas ohne Aufzüge angeeignet hatte. Ähnliche selbstorganisierte Siedlungen besuchte Baan 2013 auch in Kairo und in der explodierenden nigerianischen Megacity Lagos.
Auch in Baans Werk gibt es Fotos, die menschenlos bleiben. Oft ist auf ihnen der Bau im Kontext der umliegenden Landschaft zu erkennen, sei sie natürlich belassen oder auch völlig zersiedelt und fragmentiert. Mit großen Weitwinkeln und ohne Stativ fängt Baan die Architektur in ihrer Umgebung ein – manchmal wirkt letztere mächtiger als erstere. Oft verschafft er sich mit dem Helikopter einen Überblick - etwa bei der im letzten Jahr eröffneten Außenstelle des Louvre in Lens, der mit seiner leichten, weißen Außenhaut in die schwarze Erde der nordfranzösischen Kohlelandschaft kontrastark von SANAA eingebettet wurde. Oder in Manhattan, wo er dem Hurrikan Sandy just in jenem Moment ins Auge schaut, als ganz Midtown das Licht ausknipst. Ohne Großkamera und Stativ ausgerüstet, bewegt sich Baan leichtfüßig mit drei 35mm-Kameras durch die Welt – immer auf der Suche nach dem, was Henri Cartier-Bresson einmal den „entscheidenden Augenblick“ nannte.
Ein Katalogbuch ist im Kehrer-Verkag, Heidelberg erschienen.
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