Auf zur Landpartie – die Wiedergeburt des Berliner Speckgürtels
Thomas Rücker im Gespräch mit Claudia Hoyer, Vorstand (COO) der TAG Immobilien AG
Thomas Rücker: Frau Hoyer, immer mehr Berliner zieht es raus aus der Stadt ins Umland. Warum?
Claudia Hoyer: In der Tat entdecken immer mehr Berliner das Land. Das liegt in erster Linie an den teuren Mieten in Berlin. Es handelt sich daher um einen Verdrängungseffekt, denn mit Ausnahme von Potsdam verfügen die brandenburgischen Städte und Gemeinden noch über moderate Mieten. Eine weitere Rolle spielen natürlich die niedrigen Zinsen, die das Eigenheim für viele erschwinglich macht. Und anders als manche Berliner denken, sind viele Orte im Umland hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr oder das Straßennetz angebunden. Ein Großteil derer, die ins Umland ziehen, pendelt täglich zum Arbeiten nach Berlin. Beispielsweise brauchen Sie von Nauen bis zum Berliner Hauptbahnhof mit dem Zug nicht länger als 30 Minuten. Wohnen im Grünen und Arbeiten in Berlin lassen sich also gut verbinden. Und im Vergleich zu London oder Paris sind die Wegezeiten deutlich geringer.
Wie nachhaltig ist dieser Trend?
Es spricht alles dafür, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Denn ein Ende des starken Zuzugs in die Hauptstadt ist nicht absehbar und auch das gestiegene Neubauvolumen reicht lange nicht aus, um die zusätzliche Nachfrage zu decken. Also werden die Berliner Mieten weiter steigen oder sich zumindest auf einem hohen Niveau bewegen. Gleichzeitig entwickeln sich die wachsenden Städte im Umland weiter. Sie verfügen über große Baulandreserven und werden ihre Infrastruktur weiter verbessern. Beispielsweise entstehen heute vielerorts neue Kitas, Schulen und Einkaufszentren. Viel Bewegung gibt es auch auf dem Immobilienmarkt. Nachdem in den letzten fünf Jahren vorrangig Einfamilienhäuser gebaut wurden, steigt jetzt auch die Nachfrage nach Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Für Wohnungsunternehmen und Projektentwickler lohnt es sich deshalb, in den Bestand oder Neubau zu investieren. Das Umland befindet sich also insgesamt im Aufschwung und profitiert vom angespannten Berliner Wohnungsmarkt.
Welche Rolle kann die Politik spielen?
Ich sehe eine Aufgabe der Politik darin, die Infrastruktur zwischen Berlin und dem Umland weiter zu verbessern. Hier würde ich mir wünschen, dass sich Berlin und Brandenburg noch enger abstimmen und schneller entscheiden. Im Rahmen der gemeinsamen Landesplanung wurden zwar Fortschritte erzielt, aber es gibt noch viel Luft nach oben. Allerdings bin ich nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, insbesondere nach der 1996 gescheiterten Länderfusion, nur verhalten optimistisch. Dabei erhöht sich durch den Zuzug ins Umland der Handlungsdruck. Städte wie Strausberg und Nauen, aber auch schon zum Teil Eberswalde und Brandenburg an der Havel stehen vor der Herausforderung, ihr Bevölkerungswachstum zu bewältigen. Nicht nur Kitas und Schulen, auch eine weiter verbesserte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wird benötigt.
Was macht die brandenburgischen Mittelstädte attraktiv, auch wenn Sie nicht in der unmittelbaren Nähe von Berlin sind?
Sie profitieren von schrumpfenden Dörfern: Die ländlichen Gebiete haben oft mit Abwanderung und schwachen wirtschaftlichen Strukturen zu kämpfen. Zuzügler aus diesen ländlichen Regionen schätzen die mittelgroßen Städte wegen ihrer Infrastruktur und wegen der geringen Entfernung zur nächsten Apotheke oder zum Kino. Insofern sind die brandenburgischen Mittelstädte die Gewinner des Urbanisierungstrends. Sie fungieren zunehmend als Scharnier zwischen der wachsenden Metropole Berlin und ländlichen Gebieten.
Bislang galt der Osten als Abwanderungsregion. Hat sich das abseits von Berlin, Leipzig oder Dresden geändert?
Ja, ein erstaunliches Phänomen ist das Bevölkerungswachstum. Kleinere Städte, die bislang unter Abwanderung gelitten hatten, erleben plötzlich einen Trendwechsel. Nicht nur junge Familien, sondern gerade auch ältere Menschen ziehen aus ihren Dörfern immer häufiger in die nächstgelegene Kreisstadt. Dort finden sie in der Regel seniorengerechteren Wohnraum und wohnungsnahe Einkaufsmöglichkeiten. Beispielsweise verzeichnen Merseburg und Dessau in Sachsen-Anhalt wieder positive Einwohnersalden. Aber auch Chemnitz und das kleine Freiberg in Sachsen können wieder einen echten Einwohnerzuwachs vorweisen. Beide Orte gelten mittlerweile sogar als Schwarmstädte, die aus eigener Kraft für Neubürger sorgen und nicht nur etwas vom Glanz einer benachbarten Großstadt abbekommen.
Zur Person
Claudia Hoyer ist Vorstandsmitglied der TAG Immobilien AG. In dieser Funktion ist sie verantwortlich für das Property- und Assetmanagement nebst Shared Service Center und Hausmeister- und Handwerkerdienstleistungen, für den zentralen Einkauf sowie den An- und Verkauf von Immobilien. Zuvor war sie in verschiedenen Funktionen im Immobilienbereich, unter anderem im Vorstand der DKB Immobilien AG, tätig.
Thomas Rücker
entwickelt seit mehr als 20 Jahren Kommunikationslösungen für Immobilienunternehmen. Er ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter des Beratungshauses Rueckerconsult und des Wissens- und Meinungsportals The Property Post. Zu den Kunden zählen Unternehmen aus dem Wohn- und Gewerbebereich, unter anderem Architekturbüros und Projektentwickler.
www.rueckerconsult.de