Alt und neu als Synthese
Ein Projekt mit besonderer historischer Atmosphäre, individueller Wohnqualität und hohem gestalterischen, baulichen und technischen Standard
Eigentlich hätte alles mit möglichst geringem Aufwand saniert werden sollen, um das gründerzeitliche Stadthaus in Solingen mit einer früheren „Cartonnagenfabrik“ im Hinterhaus möglichst schnell als gemischtes Wohn- und Büroobjekt vermietbar zu machen. Aber schon im Zuge der allerersten Abbrucharbeiten entwickelte sich zwischen dem Bauherrn und den beauftragten Catalanoquiel Architekten aus Köln die Vision einer adäquateren Transformation: Das abbruchreife Haus bot das Potenzial für ein Projekt mit besonderer historischer Atmosphäre, individueller Wohnqualität und hohem gestalterischen, baulichen und technischen Standard.
Durch Zwischennutzungen der letzten Jahrzehnte war das Gebäude so stark überformt, dass besondere historische Qualitäten zunächst erst einmal wieder aufgespürt werden mussten. Obwohl der Bau nicht unter Denkmalschutz steht, wurde der Entwurf mit denkmalpflegerischer Tiefe entwickelt und mit einer baulichen und technischen Grunderneuerung in Einklang gebracht. Eine besondere Herausforderung lag dabei in der natürlichen Belichtung. Das im Grundriss sehr schmale und tiefe Gebäude besitzt im Vorderhaus eine gründerzeitliche Stuckfassade und in der ehemaligen Fabrik im Hinterhaus eine Fensterfassade nach Süd-Westen. Dazwischen liegt ein langer, dunkler Gebäudekern mit sehr schlechten Belichtungsmöglichkeiten. Teilweise liegen die unteren Geschosse – bedingt durch die topografische Situation – sogar zu zwei Seiten unterirdisch. Indem Grundrisse neu strukturiert, alle Funktionsbereiche im Kern, die loftartigen Wohn- und Schlafbereiche dagegen an den Fensterfassaden situiert wurden, konnten ausreichend helle und attraktive Einheiten entwickelt werden. Jede der sieben Wohn- und Büroeinheiten zwischen 50 und 140 m² wurde dabei aus ihrer individuellen Lage im Gebäude und ihrer äußeren Orientierung entwickelt – zur Straße oder zum Grünraum, in direktem Kontakt zum Nachbarn oder mit Weitblick über die Landschaft, als Loft, als Maisonette oder als kleine Zweiraumwohnung. Sowohl die großen, hellen Fabrikräume im Hinterhaus als auch alte Bauteile wie die Gusseisentragwerke wurden freigelegt, die ursprünglichen Materialien genau bestimmt und durch eine Auswahl weniger neuer Materialien ergänzt. Im früheren Fabrikteil wurde der Wandputz entfernt und das historische Backsteinmauerwerk freigelegt; ergänzt wurden teils ein neuer Gussasphalt-Sichtestrich, teils Eichenparkett. Bauteile, die ihre ursprüngliche Farbgebung verloren hatten, wurden in neutralem Weiß wie alle neuen Einbauten behandelt. Im Treppenhaus erhielt das Geländer aus den 1970er-Jahren einen schwarzen Anstrich und wurde so zu einer neuen Skulptur, die das historische Treppenauge umkreist. So entstand im gesamten Gebäude binnen zwei Jahren Planungs- und Ausführungszeit und mit kleinen Handwerksfirmen eine harmonische Einheit aus Alt und Neu – mit Aufwertungseffekten: Im Umfeld erfolgen weitere Gebäudesanierungen, ohne dass dabei ein größerer Wandel der Bewohnerstruktur ausgelöst worden wäre.
Fotos:
Catalanoquiel
(Erschienen in CUBE Düsseldorf 02|19)